Juristen bezweifeln Machbarkeit von Fußfessel für Gefährder
Juristen bezweifeln, dass Gefährder eine Fußfessel bekommen werden. Ein Blick in die Gefängnisse zeigt, dass die Justiz mit Dschihadisten derzeit andere Probleme hat.
Der neue Regierungspakt beinhaltet ein großes Sicherheitspaket. Für Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) steht dabei die Überwachung mittels Fußfessel von Gefährdern – also Menschen, die eine Straftat begehen könnten – ganz oben. Juristen, allen voran Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP), sehen das kritischer. Eine Strafe aufgrund einer bloßen Verdachtslage sei nicht möglich, werfen Verfassungsrechtler ein. Der Begriff „Gefährder“müsse zumindest juristisch definiert werden. Ein neues Gesetz zu der Maßnahme ist laut dem Justizminister allerdings auch nicht in Planung.
WIEN. Rund 300 sogenannte Gefährder soll es in Österreich geben. Es sind Menschen, die etwa Sympathien für Terrororganisationen hegen, vielleicht in Syrien waren oder überlegten, in den Dschihad zu ziehen. Wenn die Vorwürfe zu abstrakt sind, um ein Verfahren gegen die Personen einzuleiten, spricht man in Polizeikreisen von Gefährdern. Geht es nach Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), sollen diese zukünftig mittels Fußfessel überwacht werden. Der Vorschlag findet sich auch im neuen Regierungspakt.
Der zuständige Justizminister, Wolfgang Brandstetter (ÖVP), gibt sich jedoch weitaus zurückhaltender, was die Fußfessel betrifft. Ein neues Gesetz solle es nicht geben. Das müsse man sich in jedem Fall genau ansehen. Immerhin sei „Gefährder“kein juristischer Begriff. „Bereits jetzt gibt es die gesetzlichen Möglichkeiten, eine Fußfessel in der UHaft zu genehmigen“, erklärt Brandstetter.
Tatsächlich findet sich in der Strafprozessordnung die Möglichkeit, einen Hausarrest statt der U-Haft zu verhängen. Allerdings auch nur, wenn es einen konkreten Tatverdacht gibt. „Bei einem Terrorverdächtigen, bei dem Flucht-, Verabredungs- oder Verdunkelungsgefahr besteht, wird der Staatsanwalt auch zukünftig zur UHaft greifen“, erklärt der zuständige Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek. Dass allein aufgrund von abstrakten Gefahren jemand eine Fußfessel tragen könnte, hält man im Justizministerium und in der Richterschaft für mehr als unwahrscheinlich. Richtervereinigungs-Präsident Werner Zinkl erklärt, dass es kein ausreichender Grund sei, wenn jemand – wie eben ein Gefährder – „vielleicht eine Straftat begehen könnte“, denn „ganz Österreich könnte eine Straftat begehen“.
Im Justizministerium scheint im Moment die Frage wichtiger zu sein, wie man mit inhaftierten Dschihadisten umgeht. 68 Dschihadisten sitzen derzeit in österreichischen Gefängnissen. 47 davon in U-Haft und 21 in Strafhaft. Wie kann man diese dazu bewegen, dass sie dem Dschihad abschwören?
Die Justiz weiß, dass Gefängnisse ein Hort der Radikalisierung sein können, auch wenn bei den aktuell Inhaftierten die wenigsten im Gefängnis rekrutiert wurden. Damit das so bleibt, werden verstärkt Maßnahmen getroffen. Eine Studie zeigt nun, wer die Dschihadisten im Gefängnis sind.
„Den typischen Dschihadisten gibt es nicht“, erklärt die Studienautorin Veronika Hofinger. „Wir haben mit 39 Dschihadisten gesprochen, davon vier Frauen, und haben sehr unterschiedliche Fälle kennengelernt.“So waren unter den Befragten etwa eine junge Schwangere, die dachte, in Syrien ein besseres Leben führen zu können, oder ein Jugendlicher, der Propaganda des „Islamischen Staats“auf Facebook geteilt hatte. „Es gibt in Österreich niemanden, der wegen einer Anschlagsplanung im Gefängnis sitzt“, sagt Hofinger. Teilweise fehle den Insassen das Unrechtsbewusstsein für ihre Tat. „Manche verstehen nicht, warum sie verurteilt wurden, weil sie ihrem Verständnis nach doch nur nach Syrien gehen wollten“, sagt die Expertin.
Die Deradikalisierung im Gefängnis ist laut den Studienautoren schwierig. „Es ist eine Illusion zu glauben, jemand kommt als Dschihadist in Haft und als liberaler Demokrat heraus“, sagt der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger, der ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat. „Bei Jugendlichen greifen die Gespräche mit Sozialarbeitern und Religionsexperten gut. Bei Predigern oder tschetschenischen Nationalisten braucht es andere Programme“, erklärt Hofinger.
Maßnahmen zur Deradikalisierung sollten nach Ansicht der Wissenschafter am besten mit Antritt der U-Haft beginnen – dies wird aber wegen unterschiedlicher Interessen von Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz fallweise verhindert. Die Studie stellt auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Einzelhaft. Sie soll die Radikalisierung von Mithäftlingen verhindern, kann nach Überzeugung der Studienautoren aber eine weitere Radikalisierung bewirken – dann nämlich, wenn ein Insasse die UHaft-Zeit in der Zelle allein damit verbringt, die eigene Propaganda wiederzukauen.