Auch Österreich braucht zwei Botschafter in der EU-Hauptstadt
Jürgen Meindl, Österreichs Botschafter in Belgien und bei der NATO, wohnt etwas ungewöhnlich und hat sich als Krisenmanager bewährt.
Schnee in Brüssel ist selten. An diesem Morgen aber fallen dicke Flocken. Auf den Hecken und Vorgärten der schmucken Villen in Uccle, einem der teuersten Viertel von Brüssel, bleiben sie sogar liegen. Auch die Residenz von Österreichs Botschafter in Belgien und bei der NATO – zusätzlich gibt es noch einen EU-Botschafter –, ein großes Landhaus mit Reetdach, das eher an Sylt oder den Wohnsitz eines USTV-Helden erinnert, ist weiß zugedeckt. Jürgen Meindl, gebürtiger Linzer, hat sich mit seinem eigenwilligen Wohnsitz in den eineinhalb Jahren, die er jetzt in Brüssel lebt, angefreundet. Musste der gelernte Jurist auch, denn das Gebäude gehört seit den 1960er-Jahren der Republik und ist nicht leicht zu verkaufen.
Die großzügigen Repräsentationsräume und der Garten eignen sich hervorragend für Empfänge. Für ein Frühstück zu zweit, zu dem der Botschafter die SN in die Residenz geladen hat, sind Salon und der lange Tisch etwas zu groß, aber beeindruckend. Dass Österreich in Brüssel tatsächlich zwei Botschafter braucht, steht für den einstigen außenpolitischen Berater und Vizekabinettchef von Ex-Kanzler Faymann außer Frage, nicht nur weil alle EU-Länder – und mittlerweile viele Regionen – das so halten. Die Bedeutung diplomatischer Vertretungen nehme sogar zu, sagt Meindl, sie dienten vor allem als Anlaufstelle bei Krisen wie den Terroranschlägen in Brüssel. Der 22. März 2016 war „der forderndste und traurigste Tag“seines Lebens, auch wenn nach drei, vier Stunden klar war, dass keine Österreicher unter den Opfern waren. Anfragen, Interviews, gestrandete Reisende in der Botschaft – Meindls Erfahrung in Sicherheitsthemen als früherer Berater des Verteidigungsministers war kein Nachteil. Besorgte Anrufe gibt es bis heute: Ob man die Schülerreise absagen soll, ob man mit der U-Bahn fahren kann oder das Praktikum der Tochter in Brüssel zu gefährlich ist. „Das Thema Sicherheit wird uns noch lang beschäftigen“, sagt der drahtige 51-Jährige überzeugt.
Der Botschafter in Brüssel – davor waren es Tel Aviv, Berlin und Bern – hat auch an norma- len Tagen zu tun: 50 Prozent der Arbeit entfallen auf die NATO, auf Sitzungen und Treffen in seinem Büro im Hauptquartier des Bündnisses. Österreich ist zwar kein Mitglied, stellt aber Truppen auf dem Westbalkan und beteiligt sich an Projekten. Die andere Hälfte seiner Zeit entfällt auf eine breite Palette von „konsularischer Tätigkeit bis Wirtschaft und Kultur“. Mit den einstigen habsburgischen Niederlanden gibt es viele Anknüpfungspunkte, außerdem leben in Belgien 6000 Auslandsösterreicher. Ob ein Vortrag an der Universität von Gent, eine Standortpräsentation vor Unternehmern, ein Event für Tourismusmanager oder der alljährliche Wiener Ball: Der „Lobbyist Österreichs“, wie Meindl sich sieht, ist dabei.
Brüssel selbst ist für ihn noch immer „ein Mysterium“: Die Stadt sei „besonders interessant“, weil sie „der größte diplomatische Standort der Welt“ist. Zugleich sei sie widersprüchlich, was sich vielleicht auch in Europa spiegle. So umschreibt er diplomatisch, dass manche Dinge eine ewige Baustelle bleiben. Jenes Gerüst etwa, das den gigantomanischen Justizpalast umgibt, stand schon da, als er vor 18 Jahren das erste Mal in Brüssel war.