Finger, Zahn, Rippe und andere „heidnische“Dinge
Der Transfer eines „heiligen“Körperteils wirft die Frage auf, wie ernst man die Verehrung toten Gebeins nehmen kann.
Ein gesellschaftliches Ereignis begeisterte am vergangenen Wochenende die deutsche Stadt Würzburg. Eine Rippe war eingetroffen und wurde per Pontifikalamt in der Stadt begrüßt. Sie gehört zu einem Heiligen, dessen Lebensursprung in Würzburg lag, zu Aquilinus, auch Wenzel genannt. Aquilinus war einst Dompropst zu Würzburg, stoppte auf der Reise nach Rom in Mailand und wurde dortselbst unter ungeklärten Umständen ermordet. Das war im Jahr 1018 – oder vielleicht auch später, denn in seiner Biografie schwanken die Lebensdaten um Jahrhunderte.
Man verehrt den Mann seit der wundersamen Auffindung seines Leichnams im Jahr 1400, was bedeutet, dass niemand wirklich weiß, ob es der richtige Körper ist, denn in knapp vierhundert Jahren kann schon manches durcheinanderkommen. Und das Mittelalter ist durchaus bekannt dafür, dass echte und unechte Reliquien an den seltsamsten Orten auftauchten und unter den merkwürdigsten Umständen dem einen oder anderen Heiligen zugeordnet wurden.
Nun erhebt sich die Frage, weshalb man dem Mann jetzt, knapp tausend Jahre nach seinem Tod in Mailand, eine Rippe entnommen hat, um sie jenseits der Alpen zu verehren. Die Entnahme von männlichen Rippen hat ja in unserem christlichen Abendland eine ganz besonders tiefe Bedeutung. Was also planen die Würzburger mit der Rippe?
Andererseits muss man bedenken, dass gerade die Christen ziemlich von oben herab auf jene „Naturvölker“zu schauen pflegten, die Knochen oder andere Körperteile der Toten zur Verehrung von Göttern oder Geistern benutzten. Das nannte man dann abschätzig „religiösen Fetischismus“. Man kennt das freilich aus vielen religiösen Gemeinschaften. So wie man im Buddhismus zum Beispiel den Eckzahn Buddhas verehrt, so kommen im Chris- tentum Zehen, Finger, Schädel und offenbar auch Rippen zu großer Beliebtheit.
Da die Quellen solcher Körperteile oft im Dunkel des finstersten Mittelalters liegen, ist auch die Provenienz nicht immer restlos geklärt. Und so kommt es, dass von einem Heiligen so viele Zehenknochen unter den Altären christlicher Kirchen lagern, dass man tatsächlich von einem wundersamen Mann sprechen könnte: So mancher Heilige muss wohl 28 Beine gehabt haben.
Abgesehen von der prekären Quellenlage erhebt sich da auch noch die Frage, weshalb man überhaupt einem seit tausend Jahren Toten nicht seine Ruhe lässt. Wollte irgendein normaler Mensch, der seine verstorbene Oma ganz nah bei sich haben will, der den kleinen Finger entnehmen, dann käme er wohl wegen Störung der Totenruhe vor Gericht.