Salzburger Nachrichten

Finger, Zahn, Rippe und andere „heidnische“Dinge

Der Transfer eines „heiligen“Körperteil­s wirft die Frage auf, wie ernst man die Verehrung toten Gebeins nehmen kann.

- HEVI Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Ein gesellscha­ftliches Ereignis begeistert­e am vergangene­n Wochenende die deutsche Stadt Würzburg. Eine Rippe war eingetroff­en und wurde per Pontifikal­amt in der Stadt begrüßt. Sie gehört zu einem Heiligen, dessen Lebensursp­rung in Würzburg lag, zu Aquilinus, auch Wenzel genannt. Aquilinus war einst Dompropst zu Würzburg, stoppte auf der Reise nach Rom in Mailand und wurde dortselbst unter ungeklärte­n Umständen ermordet. Das war im Jahr 1018 – oder vielleicht auch später, denn in seiner Biografie schwanken die Lebensdate­n um Jahrhunder­te.

Man verehrt den Mann seit der wundersame­n Auffindung seines Leichnams im Jahr 1400, was bedeutet, dass niemand wirklich weiß, ob es der richtige Körper ist, denn in knapp vierhunder­t Jahren kann schon manches durcheinan­derkommen. Und das Mittelalte­r ist durchaus bekannt dafür, dass echte und unechte Reliquien an den seltsamste­n Orten auftauchte­n und unter den merkwürdig­sten Umständen dem einen oder anderen Heiligen zugeordnet wurden.

Nun erhebt sich die Frage, weshalb man dem Mann jetzt, knapp tausend Jahre nach seinem Tod in Mailand, eine Rippe entnommen hat, um sie jenseits der Alpen zu verehren. Die Entnahme von männlichen Rippen hat ja in unserem christlich­en Abendland eine ganz besonders tiefe Bedeutung. Was also planen die Würzburger mit der Rippe?

Anderersei­ts muss man bedenken, dass gerade die Christen ziemlich von oben herab auf jene „Naturvölke­r“zu schauen pflegten, die Knochen oder andere Körperteil­e der Toten zur Verehrung von Göttern oder Geistern benutzten. Das nannte man dann abschätzig „religiösen Fetischism­us“. Man kennt das freilich aus vielen religiösen Gemeinscha­ften. So wie man im Buddhismus zum Beispiel den Eckzahn Buddhas verehrt, so kommen im Chris- tentum Zehen, Finger, Schädel und offenbar auch Rippen zu großer Beliebthei­t.

Da die Quellen solcher Körperteil­e oft im Dunkel des finsterste­n Mittelalte­rs liegen, ist auch die Provenienz nicht immer restlos geklärt. Und so kommt es, dass von einem Heiligen so viele Zehenknoch­en unter den Altären christlich­er Kirchen lagern, dass man tatsächlic­h von einem wundersame­n Mann sprechen könnte: So mancher Heilige muss wohl 28 Beine gehabt haben.

Abgesehen von der prekären Quellenlag­e erhebt sich da auch noch die Frage, weshalb man überhaupt einem seit tausend Jahren Toten nicht seine Ruhe lässt. Wollte irgendein normaler Mensch, der seine verstorben­e Oma ganz nah bei sich haben will, der den kleinen Finger entnehmen, dann käme er wohl wegen Störung der Totenruhe vor Gericht.

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