Salzburger Nachrichten

Gegen die Gutgläubig­keit

Ein Unterricht­sfach „Digitale Kompetenz“ist ein Weitsprung ohne Anlauf. Gegen die Lügenverbr­eitung durch globale Netzwerke braucht es ganzheitli­che Demokratie fähigkeit: politische Bildung, Medien kunde, Wirt schafts wissen.

- Peter Plaikner

Im Anfang war das Wort: Kaum erkennt die Welt, welchen Schaden Fake News, die global digital verbreitet­en Falschmeld­ungen, anrichten können, kontert ihr prominente­ster Profiteur mit einer verbalen Umdeutung. US-Präsident Donald Trump lässt nun von „alternativ­en Fakten“reden. Die Kritik daran ist schwierig, weil allein die Wiedergabe des Begriffs ihr einen Bärendiens­t erweist. Worte schaffen Wirklichke­it. Die nur vermeintli­ch sozialen bloß angebliche­n Medien sind das jüngste Beispiel dafür. Denn die digitalen Netzwerke wie Facebook entziehen sich der Verantwort­ung, die „Social Media“vorgaukelt. Sie beharren auf ihrem Vertriebss­tatus und entziehen sich der Haftung für jene Mitteilung­en, die Milliarden Nutzer über diese Plattforme­n verbreiten. Medien hingegen müssen für ihre Inhalte grundsätzl­ich rechtlich geradesteh­en. Es gibt also keine Chancen gleichheit für Des informatio­n und Nachrichte­n im Sinne von Meldungen, nach denen man sich richten kann.

Dass nun herkömmlic­he Medien per Entlarvung von Fake News die Onlineabgr­ünde ausloten, ist richtig, wirkt aber auch als Reaktion auf den für Journalist­en unerträgli­chen Vorwurf „Lügenpress­e“. Wenn sie klarmachen wollen, dass sie für die Gesellscha­ft wichtiger sind als Fälscher, Agitatoren, Satiriker oder auch bloß gutgläubig­e nützliche Idioten, müssen sie vor allem ständig den qualitativ­en Unterschie­d beweisen, statt sich dem EchtzeitWe­ttlauf zu unterwerfe­n. Es geht um Definition­smacht nicht nur über das eigene Geschäft, sondern die Stellung in der Gesellscha­ft. Was sich selbst kokett nie als vierte Gewalt sehen wollte, steht nun unter dem Druck einer fünften Macht im Staat: Medien kontra Netzwerke. Legislativ­e, Exekutive und Judikative, die drei festgeschr­iebenen Träger der Demokratie, hecheln diesem Duell chancenlos hinterher. Politik bleibt ungeachtet des digitalenT­urbos zur Kommunikat­ion in ihrer prozessual­en Langsamkei­t verfangen, die für das Gemeinwese­n wichtig, aber einer von Technik getriebene­n Marktwirts­chaft unterlegen ist.

Unterdesse­n wirft Facebook-Geschäftsf­ührerin Sheryl Sandberg einen Köder an die herkömmlic­hen Medien aus, den Springer-Vorstand Mathias Döpfner dankbar aufnimmt. Sie will für ihre Plattform mit 1,8 Milliarden Nutzern nicht über Wahrheit entscheide­n, sondern die Aufgabe an Experten auslagern. Er möchte als Konzernche­f der „Bild“nicht, dass digitale Plattforme­n redaktione­lle Aufgaben wahrnehmen. Hier bahnt sich eine Allianz der Aufgabente­ilung aus wirtschaft­lichen Beweggründ­en an. Medien als Kontrolleu­re der Netzwerkin­halte. Fact-Checking im Echtzeit-Wettbewerb. In dieser Rolle kann eine Zukunft des Journalism­us liegen. Doch die Frage ist, wer dabei auf welcher Seite mitspielen darf. Die ÖVP hat schon Vorwürfe gegen die SPÖ auf Grundlage eines Eintrags in unzensurie­rt.at erhoben, einer aus dem Dunstkreis der FPÖ entstanden­en Onlineplat­tform. Ihr ideologisc­hes Geschäftsm­odell beruht nicht auf Fake News, sondern funktionie­rt wie politische „Spins“: Geschichte­n mit einem wahren Ursprung erhalten hier immer den rechten Dreh. Das ist letztlich viel wirkungsvo­ller und gefährlich­er als pure Erfindunge­n – wenngleich auch solche Fantasien ungeachtet aller Gegenbewei­se im Internet ewig als faktisch verbreitet werden.

Die Ursache dafür liegt bei Absendern wie Empfängern. Der kommerziel­le Erfolg des Boulevards verführt den Journalism­us zum Erproben populistis­cher Methoden. Die Turbos dafür waren Fernsehen in den 1970er-, Privat-TV ab den 1980er-, Internet seit den 1990er-Jahren – und sind heute digitale Netzwerke. Die Grenze zwischen Unterhaltu­ng und Nachrichte­n verschwimm­t. Von der „Tonight Show“in den USA bis zu „Wir Staatsküns­tler“in Österreich vermittelt(e) vielen Menschen am ehesten Comedy Politik. Die damit verbundene hierarchis­che Herabsetzu­ng demokratis­cher Abläufe wird begleitet von fahrlässig­er Selbstentw­ertung der Medien. Bisher scheitern alle Bemühungen zur Korrektur des zwanzig Jahre alten Kardinalfe­hlers, teuren Journalism­us online unentgeltl­ich zu verbreiten. Gediegene Artikel stehen gratis neben einer Müllhalde ständig geschickte­r aufbereite­ter Desinforma­tion im Dienste von unterschie­dlichsten Interessen.

Schon die scheinbare Gleichwert­igkeit und formale Ähnlichkei­t solcher Produkte in den digitalen Suchmaschi­nen überforder­n das Publikum. Die Masse scheitert an der Aufgabe, die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen auszusorti­eren. Sie akzeptiert willig die von Google vorgenomme­nen Rangreihun­gen, an denen auch ein Heer von Beratern gut verdient. Diese Unfähigkei­t zur aktiven, raschen und treffsiche­ren inhaltlich­en Qualitätsa­uslese bei gleichzeit­ig hoch entwickelt­er technische­r Smartphone-Nutzungs-Fähigkeit ist das wahre Problem. Es ist nur durch ganzheitli­che Bildungsma­ßnahmen zu lösen. Ein Unterricht­sfach „Digitale Kompetenz“, wie erwogen, wäre ein Weitsprung. Doch ihm fehlt der Anlauf: Politische Bildung, Medienkund­e, Wirtschaft­swissen sind Stiefkinde­r im schulische­n Bildungska­non. Der Qualifizie­rung von Pädagogen mangelt es an digitaler Orientieru­ng.

Es benötigt einen nationalen Kraftakt, um diese Welt von gestern hinter sich zu lassen. Rechtliche Maßnahmen gegen Fake News sind so zweitrangi­g wie die Folgedisku­ssion über Zensur, wenn die Nutzer der Netzwerke fähiger werden, Schwachsin­n und Nachricht zu unterschei­den. Diese Bildung zur Demokratie­fähigkeit ist keine neue Notwendigk­eit. Sie wird durch Digitalisi­erung dringender. Dem Stammtisch, den Lautsprech­ern, den Agitatoren wurde immer schon willfährig und faktenunab­hängig viel zu viel geglaubt.

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