Gegen die Gutgläubigkeit
Ein Unterrichtsfach „Digitale Kompetenz“ist ein Weitsprung ohne Anlauf. Gegen die Lügenverbreitung durch globale Netzwerke braucht es ganzheitliche Demokratie fähigkeit: politische Bildung, Medien kunde, Wirt schafts wissen.
Im Anfang war das Wort: Kaum erkennt die Welt, welchen Schaden Fake News, die global digital verbreiteten Falschmeldungen, anrichten können, kontert ihr prominentester Profiteur mit einer verbalen Umdeutung. US-Präsident Donald Trump lässt nun von „alternativen Fakten“reden. Die Kritik daran ist schwierig, weil allein die Wiedergabe des Begriffs ihr einen Bärendienst erweist. Worte schaffen Wirklichkeit. Die nur vermeintlich sozialen bloß angeblichen Medien sind das jüngste Beispiel dafür. Denn die digitalen Netzwerke wie Facebook entziehen sich der Verantwortung, die „Social Media“vorgaukelt. Sie beharren auf ihrem Vertriebsstatus und entziehen sich der Haftung für jene Mitteilungen, die Milliarden Nutzer über diese Plattformen verbreiten. Medien hingegen müssen für ihre Inhalte grundsätzlich rechtlich geradestehen. Es gibt also keine Chancen gleichheit für Des information und Nachrichten im Sinne von Meldungen, nach denen man sich richten kann.
Dass nun herkömmliche Medien per Entlarvung von Fake News die Onlineabgründe ausloten, ist richtig, wirkt aber auch als Reaktion auf den für Journalisten unerträglichen Vorwurf „Lügenpresse“. Wenn sie klarmachen wollen, dass sie für die Gesellschaft wichtiger sind als Fälscher, Agitatoren, Satiriker oder auch bloß gutgläubige nützliche Idioten, müssen sie vor allem ständig den qualitativen Unterschied beweisen, statt sich dem EchtzeitWettlauf zu unterwerfen. Es geht um Definitionsmacht nicht nur über das eigene Geschäft, sondern die Stellung in der Gesellschaft. Was sich selbst kokett nie als vierte Gewalt sehen wollte, steht nun unter dem Druck einer fünften Macht im Staat: Medien kontra Netzwerke. Legislative, Exekutive und Judikative, die drei festgeschriebenen Träger der Demokratie, hecheln diesem Duell chancenlos hinterher. Politik bleibt ungeachtet des digitalenTurbos zur Kommunikation in ihrer prozessualen Langsamkeit verfangen, die für das Gemeinwesen wichtig, aber einer von Technik getriebenen Marktwirtschaft unterlegen ist.
Unterdessen wirft Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg einen Köder an die herkömmlichen Medien aus, den Springer-Vorstand Mathias Döpfner dankbar aufnimmt. Sie will für ihre Plattform mit 1,8 Milliarden Nutzern nicht über Wahrheit entscheiden, sondern die Aufgabe an Experten auslagern. Er möchte als Konzernchef der „Bild“nicht, dass digitale Plattformen redaktionelle Aufgaben wahrnehmen. Hier bahnt sich eine Allianz der Aufgabenteilung aus wirtschaftlichen Beweggründen an. Medien als Kontrolleure der Netzwerkinhalte. Fact-Checking im Echtzeit-Wettbewerb. In dieser Rolle kann eine Zukunft des Journalismus liegen. Doch die Frage ist, wer dabei auf welcher Seite mitspielen darf. Die ÖVP hat schon Vorwürfe gegen die SPÖ auf Grundlage eines Eintrags in unzensuriert.at erhoben, einer aus dem Dunstkreis der FPÖ entstandenen Onlineplattform. Ihr ideologisches Geschäftsmodell beruht nicht auf Fake News, sondern funktioniert wie politische „Spins“: Geschichten mit einem wahren Ursprung erhalten hier immer den rechten Dreh. Das ist letztlich viel wirkungsvoller und gefährlicher als pure Erfindungen – wenngleich auch solche Fantasien ungeachtet aller Gegenbeweise im Internet ewig als faktisch verbreitet werden.
Die Ursache dafür liegt bei Absendern wie Empfängern. Der kommerzielle Erfolg des Boulevards verführt den Journalismus zum Erproben populistischer Methoden. Die Turbos dafür waren Fernsehen in den 1970er-, Privat-TV ab den 1980er-, Internet seit den 1990er-Jahren – und sind heute digitale Netzwerke. Die Grenze zwischen Unterhaltung und Nachrichten verschwimmt. Von der „Tonight Show“in den USA bis zu „Wir Staatskünstler“in Österreich vermittelt(e) vielen Menschen am ehesten Comedy Politik. Die damit verbundene hierarchische Herabsetzung demokratischer Abläufe wird begleitet von fahrlässiger Selbstentwertung der Medien. Bisher scheitern alle Bemühungen zur Korrektur des zwanzig Jahre alten Kardinalfehlers, teuren Journalismus online unentgeltlich zu verbreiten. Gediegene Artikel stehen gratis neben einer Müllhalde ständig geschickter aufbereiteter Desinformation im Dienste von unterschiedlichsten Interessen.
Schon die scheinbare Gleichwertigkeit und formale Ähnlichkeit solcher Produkte in den digitalen Suchmaschinen überfordern das Publikum. Die Masse scheitert an der Aufgabe, die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen auszusortieren. Sie akzeptiert willig die von Google vorgenommenen Rangreihungen, an denen auch ein Heer von Beratern gut verdient. Diese Unfähigkeit zur aktiven, raschen und treffsicheren inhaltlichen Qualitätsauslese bei gleichzeitig hoch entwickelter technischer Smartphone-Nutzungs-Fähigkeit ist das wahre Problem. Es ist nur durch ganzheitliche Bildungsmaßnahmen zu lösen. Ein Unterrichtsfach „Digitale Kompetenz“, wie erwogen, wäre ein Weitsprung. Doch ihm fehlt der Anlauf: Politische Bildung, Medienkunde, Wirtschaftswissen sind Stiefkinder im schulischen Bildungskanon. Der Qualifizierung von Pädagogen mangelt es an digitaler Orientierung.
Es benötigt einen nationalen Kraftakt, um diese Welt von gestern hinter sich zu lassen. Rechtliche Maßnahmen gegen Fake News sind so zweitrangig wie die Folgediskussion über Zensur, wenn die Nutzer der Netzwerke fähiger werden, Schwachsinn und Nachricht zu unterscheiden. Diese Bildung zur Demokratiefähigkeit ist keine neue Notwendigkeit. Sie wird durch Digitalisierung dringender. Dem Stammtisch, den Lautsprechern, den Agitatoren wurde immer schon willfährig und faktenunabhängig viel zu viel geglaubt.