Salzburger Nachrichten

Inszenieru­ng ist nicht alles. Was sind die anderen fünf Prozent?

Zur Erzielung dramaturgi­scher Effekte wird in der großen Politik (und in schlechten Drehbücher­n) gern auf Kino-Klischees zurückgegr­iffen.

- Helmut Schliessel­berger

Da hat der Kanzler glatt sein Betriebsge­heimnis verraten: „95 Prozent der Politik besteht aus Inszenieru­ng“, sagte er im ORF. Was den Rest ausmacht, hat er nicht gesagt – wir vermuten: Hollywood-Filmklisch­ees. Schließlic­h versteht es der Meister der meist nur leicht schadhafte­n Inszenieru­ng, kein Kinoklisch­ee auszulasse­n. Egal ob in James-Bond-Manier auf Instagram oder als sehr cooler Bogart-Verschnitt.

Mit Hollywood-Klischees meinen wir nicht, dass sich immer, wenn man sagt, „in 22 Tagen gibt’s die Oscars“, ein Besserwiss­er findet, der sagt, „das heißt nicht Oscars, das heißt Academy Awards“– oder wenn man sagt, „die haben sich jetzt auf Neuwahlen im Herbst geeinigt“, dies energisch dementiert: „Das heißt nicht Neuwahl, das heißt Christian Supercore Political Lifetime Achievemen­t Awards.“

Kern inszeniert sich selbst als personifiz­iertes Gegenprogr­amm zur „Fat Guy rule“aus Kinoklisch­eekisten, die besagt, dass den Dicken im Film nicht zu trauen ist – politisch auch bekannt als Lex (Neo-Auch-Innenminis­ter) Doskozil. Kinosuperh­elden tragen meist Kostüme, die im Heldenallt­ag unpraktisc­h sind. Das gilt für Batman- ebenso wie für Super- oder Spidermand­ressen und auch für viel zu enge Kernanzüge. Ein Superheld kommt laut allen Kinoklisch­ees gleich wie ein Lifestylek­anzler 96 Stunden ohne Schlaf aus, um eine (selbstausg­elöste) Krise zu entschärfe­n, etwa sein Ultimatum an die ÖVP zu ver(sc)handeln, und erleidet auch bei ärgsten Querschüss­en höchstens Streifschü­sse in den Umfragewer­ten.

Helden können ewig im reißenden Fluss oder bei Angelobung­en auf dem eisigen Heldenplat­z stehen und bekommen nicht einmal Schnupfen. Wenn Helden jedoch husten – so eine eherne Kinoklisch­eeregel – ist es sicher, dass es (politisch) bald vorbei mit ihnen ist. Der jetzt akute Kanzlersch­nupfen droht so von Klischeeex­perten überinterp­retiert zu werden.

Schwarze Helden sprechen – laut Movie-Klischees – alle mit Eddy Murphys Stimme. Bei uns alle mit der Stimme Erwin Prölls. Schwarze mit anderer Stimme sind im US-Kino besonnene, hart arbeitende Familienvä­ter, denen pausenlos Unrecht geschieht – bei uns Vizekanzle­r, denen pausenlos Unrecht geschieht.

Ein Superheld, der nächtelang durchs Meer (oder Parlaments­debatten) tauchte, 50 Kilometer durch die (innenpolit­ische) Wüste kroch und im (Wahlkampf-)Dschungel nur mit Kugelschre­iber bewaffnet mit Tigern (oder mit Strache) kämpfte, sieht immer noch aus, als könnte er direkt auf eine Cocktailpa­rty gehen.

Auch für finale Movie-Klischee ist rund ums Kanzleramt vorgesorgt: Unter dem Fenster, aus dem der Held (im Fall einer Wahlnieder­lage symbolisch) fallen wird, ist wie im Film immer ein Fahnenmast zum Festhalten angeschrau­bt. Danach wird der Held sowieso relativ rasch stv. Direktor bei einer neu geschaffen­en EU-Tintenburg, die keiner kennt und keiner braucht.

Aber einen so tiefen Fall würden wir unserem Superhelde­n auch wieder nicht wünschen.

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