China sucht den Draht zum Bürger
Die Digitalisierung zwingt autoritäre Regime zur Öffnung. Was dabei entsteht, ist aber längst nicht Demokratie.
Das Bild des Parteisekretärs der Lokalregierung baut sich langsam auf der chinesischen Website auf, daneben stehen Texte und Links. Einen Klick weiter erscheint eine Eingabemaske. Es handle sich um ein Beschwerdesystem, erklärt Christian Göbel, Sinologe an der Universität Wien.
Von Lärmbelästigung bis zu Umweltproblemen können Chinesen ihrem Ärger immer öfter in solchen öffentlichen Internetforen Luft machen – zumindest zu bestimmten Themen, die von der Partei geduldet oder sogar gewählt werden. Kritik am politischem System wird man hier nicht finden. „Es geht vor allem um öffentliche Dienstleistungen, die den Bürgern von der Regierung zur Verfügung gestellt werden“, sagt Göbel, der sich in seinem aktuellen Forschungsprojekt mit den Auswirkungen des Internets auf Bürgernähe und die Stabilität des Regimes in China befasst.
Die Beschwerdemöglichkeiten sind letztlich dazu da, das Regime zu stabilisieren. „Die Regierung in Peking hat ein Interesse, dass öffentliche Leistungen besser werden, weil sie so Zustimmung und Legitimierung in der Bevölkerung erzeugt“, erklärt der Sinologe. In diesem Sinne würden auch die Themen gesetzt, die auf den Portalen behandelt würden: nur das, was gleichzeitig im Interesse von Gesellschaft und System ist. Dazu zählen etwa gute soziale Netze oder ein funktionierender Nahverkehr.
Mit Informationsfreiheit sind solche Initiativen nicht zu verwechseln. Er gehe nicht davon aus, dass alle Beschwerden tatsächlich auf den Seiten publiziert würden, sagt Göbel. „Es wird sicher zensiert, aber wir wissen noch nicht wie.“
Nach welchen Kriterien die Regierung Beiträge zulässt, soll unter anderem im Lauf des fünfjährigen Projekts an der Universität Wien erforscht werden. Regimekritische Meinungen würden jedenfalls nicht zugelassen. Sicher sei aber auch, dass die Foren nicht nur Show seien. „Gerade den Beschwerden, die einen großen Teil der Bevölkerung betreffen, wird schon nachgegangen“, erklärt der Forschungsleiter. Und auch Problemen, die einfach zu lösen sind, wie Lärmbelästigungen durch Restaurants, wo einfach die Polizei hingeschickt wird.
Schwieriger sei es etwa bei Beschwerden von enteigneten Bürgern. Viele Chinesen hätten zwar nichts dagegen, dass sie ihr Haus verlassen müssten, aber es gebe immer wieder Diskussionen darüber, wie hoch die Entschädigungen dafür sein sollten. Veröffentlicht werden aber auch diese vergleichsweise sensiblen Anliegen, wie die Forscher schon festgestellt haben.
Göbel vergleicht das System hinter der Freigabe mit einem Wasserhahn. „Es gibt den Bereich der Regimekritik, da ist der Wasserhahn ganz zu. Bei lokalen Beschwerden wie Landvertreibung oder Umweltproblemen zeigen erste Ergebnisse, dass der Wasserhahn etwas aufgedreht wird.“
Der Informationsfluss in beide Richtungen bleibt also stark kontrolliert – und er erreicht zudem nur einen gewissen Teil der chinesischen Bevölkerung. Der lebt vor allem in den Ballungszentren, wo auch Bildung und Einkommen am höchsten sind. Auf dem Land verfügen nur rund 30 Prozent der Bevölkerung über Internet. Sie protestieren auf der Straße gegen Maßnahmen der Regierung – wenn überhaupt.
Trotz allem könnte China Modellcharakter haben. „Den Versuch, eine bestimmte Schicht anzusprechen, die der Regierung wichtig erscheint, können wir auch in anderen autoritären Regimen sehen“, sagt Göbel. Singapur sei bereits sehr fortgeschritten, andere Länder ziehen nach. Viele Menschen sähen darin Demokratie. „Das ist es aber nicht.“Vielmehr handle es sich um ein System, das Demokratie durch eine eingeschränkte Teilnahme am öffentlichen Dienst ersetzt.
„Zensiert wird, wir wissen nur nicht wie.“