Kann man auch zu viel studieren?
Je mehr Abschlüsse, desto besser. Falsch. Es gibt Akademiker, für die ihre Titel eine Bürde sind. Wie lang eine Studienlaufbahn Sinn hat. Und wie man es auch „überstudiert“in die Berufspraxis schafft.
Michael Leitner hat Medientechnik studiert. Und Kommunikationswissenschaft. Und Psychologie. Er ist doppelter Bachelor, doppelter Master, Dipl.-Ingenieur und Doktor der Kommunikationswissenschaft. Gesamt hat der 34Jährige sechs Studientitel gesammelt. Und ein siebter wird folgen: In absehbarer Zukunft wird er an der Uni Salzburg sein zweites Doktoratsstudium abschließen, gekoppelt an seinen Job. „20 Stunden die Woche bin ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter im CCNS (Centre for Cognitive Neuroscience, Anm.) am Fachbereich Psychologie tätig. Parallel arbeite ich unter anderem als Kameramann und Regisseur für das Mediahaus Salzburg“, beschreibt der gebürtige Oberndorfer. Michael Leitner ist eigentlich ein Paradebeispiel dafür, wie man die universitäre Laufbahn mit der beruflichen koppeln kann. Doch sogar für Leitner ist der Berufsweg nicht eindeutig vorgezeichnet. „Meine Uni-Stelle ist auf ein Jahr begrenzt, da sie drittmittelfinanziert ist. Im Hochschulbereich gibt es einfach zu wenig Geld.“Und selbst wenn sich das Finanzierungsproblem lösen sollte, wird es für Leitner kaum möglich sein, seiner Ausbildung entsprechend bezahlt zu werden: „Ich kann nur schwer fordern, dass ich das Sechs- oder Siebenfache von Kollegen bekomme, die ,nur‘ einen Abschluss haben.“
Wie viele Studientitel sind überhaupt noch sinnvoll? Und kann man sich durch eine zu erfolgreiche akademische Laufbahn sogar den Berufseinstieg verbauen? Ja, das könne man, sagt Peter Engel, Leiter des ÖHBeratungszentrums an der Uni Salzburg. Zumindest gebe es „immer wieder“Fälle von Akademikern, die nach einem gewissen Studienerfolg den Sprung in die Arbeitswelt nicht mehr schafften. Engel glaubt jedoch nicht, dass das an Überqualifikation liegt: „Leute mit vielfachen akademischen Abschlüssen haben oft nur wenig Berufserfahrung. Und solche Bewerber sind auf dem Arbeitsmarkt kaum brauchbar.“Zudem müsse man sich von den Mitbewerbern unterscheiden. Und das gehe kaum über Noten und Abschlüsse, sondern nur „wenn man über den Tellerrand der Uni rausgeschaut hat“. Die Folge des stockenden Berufseinstiegs seien dann oft noch weitere Studientitel: „Wer den Sprung in die Arbeitswelt nicht schafft, macht dann oft aus Verzweiflung das nächste Studium“, ergänzt Engel. Dank Beihilfen und Ähnlichem sei es zumindest möglich, das Tagesdasein zu finanzieren – und so bewege man sich in einer Spirale. Doch wie unterbricht man die Spirale? Engel rät dazu, sich früh genug Gedanken zu machen, was man aus dem eingeschlagenen Studienweg machen will. Das sei nämlich keineswegs selbstverständlich. „Ich kriege immer wieder Anfragen von Studenten, die mich fragen, was sie etwa mit ihrem gerade abgeschlossenen Bachelor arbeiten können. Da zieht sich mir das Herz kurzzeitig zusammen.“Parallel rät der Studienberater dazu, früh genug die Praxis kennenzulernen, unter anderem durch Betriebsbesichtigungen und durch Erfahrungen abseits des eigenen Tätigkeitsfelds. „Wenn man in seiner Studienzeit als Vertreter oder Kellner arbeitet, ist das Lebensschule. Und man ist später sicher in Bewerbungsgesprächen souveräner.“
Auch Johannes Forster, Leiter der Grundlagenabteilung beim Arbeitsmarktservice Salzburg, rät zu einer bewussten Studienwahl. Ein Studium nur aufgrund der Berufsaussichten zu wählen sei aber ebenso keine zufriedenstellende Lösung: „Wenn die Studienrichtung zwar nachgefragt ist, aber völlig neben meiner Linie liegt, wird das Konzept nicht aufgehen.“Sollte die passende Studienrichtung eine wenig nachgefragte sein, könnte man alternativ noch etwas Zweites, etwas Erfolgsgeneigtes, studieren.
Eine weitere Einstiegshürde könnten Chefs sein, die bewusst niemanden einstellen, der höher gebildet ist als sie selbst. Weder Forster noch Engel ist in ihrer Laufbahn ein solcher Fall untergekommen. „Ich glaube aber schon, dass es solche Fälle gibt – vor allem in Firmen, wo Hierarchie ein wesentliches Kriterium ist. Die Chefs geben das aber freilich nicht zu“, sagt Peter Engel.
Und wie verhält es sich, wenn man eine Uni-Karriere anstrebt? Da sei „jeder Abschluss gut“, sagt Engel. Auch Martin Mader ist ähnlicher Ansicht. Mader leitet das Career Centers der Uni Salzburg, das Studenten auf den Berufseinstieg vorbereiten soll. An der Uni seien eine weiterführende akademische Ausbildung und daran gekoppelte Publikationen „auf keinen Fall falsch“.
Bei jenen top ausgebildeten Akademikern, die sich beim Einstieg in die Privatwirtschaft schwertun, ortet Mader hingegen ein Bewusstseinsproblem: „Viele haben bereits ein super Kompetenzprofil, sind sich dessen aber nicht bewusst.“Da könne das Career Center Abhilfe schaffen. Im Zuge einer Kooperation mit dem Fachbereich Psychologie werden auf Anfrage ausgebildete Karrierecoaches zur Seite gestellt. „In fünf Sitzungen wird am Kompetenzprofil gearbeitet“, erläutert Mader. Fragen wie „Was kann ich wirklich?“werden dabei herausgearbeitet. Und das sei auch dringend nötig: „Es gibt genügend Erhebungen, die belegen, dass ein Studium nicht mehr erste Relevanz hat. Es kommt immer stärker auf das Persönlichkeitsprofil an.“