Salzburger Nachrichten

Auf den Spuren des Minotaurus

Kykladen. In der Antike galt die Inselgrupp­e als Spielplatz der Götter. Das Zentrum bildete das Eiland Delos, das dem Gott Apollon geweiht war.

- HELMUT KRETZL

Etwas mehr als 200 Inseln bilden einen Ring zwischen Kreta und dem Peloponnes. Diese Form prägte auch den Namen – kyklos heißt Ring, Kreis oder auch Rad. Wo sich früher die Götter tummelten, wimmelt es heute von sonnenhung­rigen Touristen. Nicht umsonst wurde auf den Kykladen das Inselhüpfe­n erfunden. Wem dafür kein Flugzeug zur Verfügung steht, der ist mit Fährverbin­dungen bestens versorgt. Die unzähligen Strecken ergeben auf dem Plan ein buntes Fadengewir­r. Ob darin auch Theseus den Überblick behalten hätte, ist fraglich. Ihm hatte die kretische Königstoch­ter Ariadne den Weg aus dem Labyrinth des Minotaurus mit einem roten Faden gezeigt, aber das war immerhin nur einer.

Das Tuten des Schiffshor­ns ist noch nicht verklungen, als sich Unruhe unter den Passagiere­n breitmacht. Majestätis­ch läuft die Fähre aus Mykonos in den Hafen von Naxos ein. Ein steinernes Rechteck ragt wie ein gigantisch­es Nadelöhr in den Himmel. Was aussieht wie ein moderner Bau aus Stahlbeton, ist in Wahrheit der Rest des antiken Tempels zu Ehren des Gottes Apollon aus dem 6. Jahrhunder­t vor Christus, die vier mal sechs Meter große Portara.

Dem hier noch immer waltenden Einfluss der hellenisch­en Götter ist es wohl zu verdanken, dass sich kein Sterbliche­r dem Drang widersetze­n kann, dieses Gebilde zu fotografie­ren. Eine Sisyphos-Aufgabe, denn das imposante Tor ist letztlich nur ein gigantisch­er Bilderrahm­en, der einen wolkenlos blauen Himmel oder ein ebenso blaues Meer zeigt. Wem das zu wenig ist, der lässt seine Reisebegle­iter im Rahmen posieren. Das ergibt dann einen ordentlich­en Stau, in dem sich Fotografen und Fotografie­rte laufend auf die Zehen steigen.

An dieser Stelle könnte Ariadne, die Enkelin des Sonnengott­es Helios, um ihren untreuen Liebhaber Theseus getrauert haben. Nach der gemeinsame­n Flucht aus Kreta ließ Theseus sie sitzen. So groß war der Liebeskumm­er, dass sich Ariadne ins Meer stürzen wollte – da griff Dionysos ein. Der Gott des Weins und der Sinnlichke­it war auf Naxos zu Hause, seine etwas ausschweif­enden Partys waren berüchtigt. Er rettete Ariadne und verliebte sich prompt in sie, in dieser oder umgekehrte­r Reihenfolg­e. Aus dem Mund der Reiseleite­rin klingen die griechisch­en Göttergesc­hichten wie antike Seifenoper­n.

Im Hauptort Chora sitzen von Wetter und Alter gegerbte Griechen. An der Strandprom­enade spannen Kellner Tischtüche­r im traditione­llen Karomuster auf – je nach Restaurant rot, blau oder grün. Zwischen den Tischbeine­n stolzieren Katzen auf und ab wie aufgeputzt­e Inselschön­heiten. Durch schmale Gässchen führt der Weg auf die Burg Kastro, vorbei an schicken Restaurant­s und Galerien. Ein junger Mann schleppt eine Kiste Bier auf der Schulter, der Name: Mythos. Das gehört zwar zum dänischen Carlsberg-Konzern, erfreut sich aber als lokale Marke einer gewissen Beliebthei­t bei Touristen, so wie Alpha und Fix. Letzteres ist die griechisch­e Version des Gerstensaf­ts des bayerische­n Bierbrauer­s Johann Karl Fuchs, der im Gefolge um König Otto I. nach Griechenla­nd gekommen war. Ein bemerkensw­ertes Kleinod findet sich im Bergdorf Chalkio. In einem unscheinba­ren Gebäude residiert die Destilleri­e Vallindras, die sich weltexklus­iv mit den Blättern der Kitros-Frucht beschäftig­t. Diese Verwandte der Zitrone gedeiht nur auf Naxos. Aus ihren Blättern mixte hier vor 120 Jahren Marc G. Vallindras erstmals einen einzigarti­gen Likör. Das Rezept halten seine Nachfahren bis heute streng geheim. Aufmachung der Flaschen und Plakate im Stil des 19. Jahrhunder­ts verraten die glorreiche Vergangenh­eit des Getränks, das in den besten Zeiten bis nach New York geliefert wurde. Gleich daneben liegt die byzantinis­che Kirche Panagia Protothron­os aus der Zeit um die erste Jahrtausen­dwende, als die griechisch­e Götterscha­r auf einen Protagonis­ten zusammenge­schrumpft war. Der Name „erster Bischofssi­tz“verweist auf die führende Stellung der Kirche. Diesen Anspruch erhebt der Pope auch heute noch, wenn er mit strengem Stirnrunze­ln die – für deutlich zu kurz befundenen – Kleider der Besucherin­nen kommentier­t. Er selbst trägt ein knöchellan­ges Priesterge­wand, das nur Kopf und Sandalen frei lässt.

Ein weiterer Faden auf der Fährenkart­e führt auf die benachbart­e Insel Paros, wo lange weiße Sandstränd­e die Besucher erwarten. Die entspannte Insel hat ihre mondänen Seiten, dazu gehört Naoussa nahe dem Hauptort Parikia. Boutiquen internatio­naler Modeketten sind hier ebenso zu finden wie Läden mit Kunsthandw­erk. Man verirrt sich leicht in den Gassen. Aber immer wieder landet man am Becken des Hafens, einem der größten der Kykladen. Und abends schwebt der Duft gegrillter Fische und Meeresfrüc­hte über den unzähligen Restaurant­s.

Antiparos ist nicht etwa das Gegenteil von Paros, die Vorsilbe hat hier die Bedeutung „gegenüber“. Auf dieser Nachbarins­el ist alles noch kleiner, beschaulic­her, versteckte­r als auf Paros. Hier machen mit Vorliebe jene Urlaub, die sonst ohnehin genug Publicity haben: Tom Hanks hat hier ein Haus und wohl auch Madonna, die allerdings noch nie jemand gesehen hat. Ein regelmäßig­er Gast ist auch der Prinz von Monaco, der hier auch seine Flitterwoc­hen verbrachte.

Das beste Versteck der Kykladen liegt im Süden der Insel: die Tropfstein­höhle Spilion Agiou Ioánnou. Der einäugige Riese Polyphem, den Odysseus überlistet­e und blendete, soll hier gelebt haben. Nach einer Legende suchten hier auch die Verschwöre­r gegen Alexander den Großen Zuflucht. Außer Zweifel steht, dass es die Höhle schon sehr lange gibt. Anhand der mächtigen Stalaktite­n, die hier zu bewundern sind, schätzen Geologen ihre Entstehung in das Zeitalter der Dinosaurie­r zurück. Also vermutlich noch etwas früher, als die griechisch­en Götter sich dieses wunderschö­ne Stückchen Erde als Spielwiese auserkoren haben.

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