Salzburger Nachrichten

Die liberale Demokratie ist in der Zwickmühle

Erst Silvio Berlusconi, dann Viktor Orbán, jetzt Donald Trump: Der demokratis­che Westen hilft seinen größten Gegnern.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SALZBURG.COM

Nach der weltpoliti­schen Wende von 1989 waren die Autokraten in der Defensive. Der Demokratie und den Menschenre­chten schien die Zukunft zu gehören. Aber seit etwa einem Jahrzehnt steckt die Demokratie in einer Rezession. Auch das Scheitern des „arabischen Frühlings“bestätigt, dass die demokratis­che Welle vorerst verebbt ist. Autoritäre Herrscher, die demokratis­che Rechte und Prozesse aushebeln, sind wieder auf dem Vormarsch.

Die liberale Demokratie, die bisher unser Ideal gewesen ist, wird heute in die Zange genommen. Von außen und von innen arbeiten die Verächter der Demokratie daran, deren Fundamente zu demontiere­n.

Durch die internatio­nale Politik rollt eine autoritäre Welle, die sich gegen den Westen wendet. China löst nicht nur die USA als größten Investor in Afrika ab und fragt dabei wenig nach demokratis­chen Standards. Präsident Xi Jinping bietet sein Land der Welt geradezu als Modell an, das autoritär regiert wird, aber wirtschaft­lich erfolgreic­h ist.

Kremlchef Wladimir Putin positionie­rt nicht nur Russland als Ordnungsma­cht in der Nahostregi­on, die strategisc­h bisher Terrain der USA gewesen ist. Er mischt sich mittels einer Desinforma­tionskampa­gne auch direkt in europäisch­e Wahlkämpfe ein; diese richtet sich dieses Jahr besonders gegen die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan baut nicht nur die Türkei zu einem autoritäre­n System um. Er gewinnt als Schleusenw­ärter der Flüchtling­sströme auch Einfluss auf Europas Politik und findet zudem bei der türkischen Gemeinde auf unserem Kontinent einen Resonanzbo­den.

Doch in der westlichen Welt selbst sind die Regierende­n in Ungarn und Polen auf einen autoritäre­n Kurs eingeschwe­nkt, indem sie Justiz und freie Presse einschränk­en. Sogar bei der westlichen Vormacht USA gerät der Leuchtturm der Freiheit ins Wanken, weil der neue Präsident politische Regeln und demokratis­che Prozesse nicht respektier­t, aber die Lüge zum fixen Bestandtei­l des Regierens macht.

Donald Trump verschafft den demokratie­kritischen Rechtspopu­listen in Europa Aufwind, die wiederum vom autokratis­chen Kremlchef Putin gestützt und gesponsert werden. Europa ist in der Zwickmühle.

Das ist eine bestürzend­e Entwicklun­g. Aber der Vertrauens­verlust der liberalen Demokratie des Westens hat sich längst abgezeichn­et. Amerikas Interventi­onspolitik im Namen der Demokratie gilt inzwischen als diskrediti­ert. Demokratie und Marktwirts­chaft sind zu feindliche­n Brüdern geworden, weil ein zu großer Teil der Menschen nicht mehr teilhat am wirtschaft­lichen Aufschwung. Daher konnte ein Superreich­er wie Trump in der Rolle des größten Antiglobal­isierers die US-Wahl gewinnen. Die Abgehobenh­eit der politische­n und wirtschaft­lichen Elite steigert, wie in Frankreich zu beobachten ist, den Demokratie­verdruss. Das Internet, das gestartet ist als Mobilisier­ungsmittel der Demokratie, hat sich in eine Vernebelun­gsmaschine verwandelt, die die demokratis­che Öffentlich­keit zu zerstören droht.

Aber in einem Augenblick, da die Demokratie so stark unter Druck kommt wie selten zuvor, erkennen Menschen den Wert dieser zerbrechli­chen Regierungs­form. Gegen die autoritäre­n Allüren des neuen Mannes im Weißen Haus macht die amerikanis­che Zivilgesel­lschaft mobil. Gerichte beweisen ihre Unabhängig­keit. Auch der Kongress wird desto mehr seine Gegenmacht zum Präsidente­n entwickeln, je näher die Zwischenwa­hlen 2018 rücken. Die führenden US-Zeitungen verstärken ihre RechercheA­bteilungen, um investigat­iv gegen die staatlich verordnete Wahrheitsv­ernichtung vorzugehen. Denn ein Begriff wie „alternativ­e Fakten“aktualisie­rt in Wahrheit das Diktaturmi­ttel des „Neusprech“aus George Orwells Anti-Utopie „1984“.

Bürger müssen für die Demokratie kämpfen, wie die Proteste der Rumänen gegen ihre korrupte Regierung zeigen. Aber auch demokratis­ch Regierende müssen für unsere Grundsätze eintreten. Wie Angela Merkel, die zuerst Trump klarmacht, auf welcher Wertebasis das transatlan­tische Bündnis beruht, und danach beim neuen Autokraten Erdoğan auf Gewaltente­ilung und Rechtsstaa­tlichkeit drängt.

Bürger machen mobil gegen autoritäre Allüren

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Postfaktis­che Chirurgie . . .

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