Salzburger Nachrichten

Graz vertraut mit Siegfried Nagl einem „Anti-Trump“

Man muss kein verbaler Scharfmach­er sein, um eine Wahl gewinnen zu können. Das zeigt das Ergebnis der Grazer Gemeindera­tswahl.

- Martin Behr MARTIN.BEHR@SALZBURG.COM

Auch angekündig­te Überraschu­ngen müssen nicht immer stattfinde­n. Für ihre Verhältnis­se haben die Bewohner der „Wechselwäh­lerhochbur­g Graz“am Sonntag erstaunlic­h unspektaku­lär gewählt. Der bereits vierte Wahlsieg für den erst 53-jährigen ÖVPPolitik­er Siegfried Nagl dokumentie­rt den Wunsch nach Kontinuitä­t und Berechenba­rkeit. Von wegen Erfolg nur durch Scharfmach­erei: Nagl ist eine Art Antithese zu Donald Trump. Der Glanz des über die Jahre gereiften Bürgermeis­ters hat auch mit der Schwäche seiner Mitbewerbe­r zu tun: Eine im freien Fall befindlich­e SPÖ, die zwischen Mitte und rechts außen pendelnde FPÖ sowie die Grünen, die durch Eigenfehle­r ihr Potenzial nicht ausschöpfe­n konnten, begünstige­n die Siegi-Nagl-Festspiele.

Erstaunlic­h ist das gute Abschneide­n der Kommuniste­n in der Uhrturmsta­dt – sie haben ihren Platz als zweitstärk­ste Partei verteidigt. Nirgendwo in Österreich sind Kommuniste­n erfolgreic­her als in der zweitgrößt­en Stadt des Landes. Nein, in Graz feiern nicht Hammer und Sichel nostalgisc­he Urständ: Die mehr als 20 Prozent der Stimmen für die KPÖ sind der Lohn für eine konsequent­e und wirksame Sozialpoli­tik. Die Dunkelrote­n leben mit einer Selbstvers­tändlichke­it das, wovon andere reden: „Draußen bei den Menschen sein“. So wurde aus der KPÖ mit der Zeit eine bessere SPÖ. Christian Kern, hör die Signale. Bundespoli­tische Schlüsse können aus dem Grazer Wahlergebn­is nur bedingt abgeleitet werden, zu sehr ist der Urnengang von den lokal handelnden Persönlich­keiten und Ereignisse­n beeinfluss­t. Wie wichtig charismati­sche Personen an der Spitze sind, zeigt aber das Beispiel der Grünen. Wo Alexander Van der Bellen bei der Bundespräs­identschaf­tswahl zuletzt mehr als 64 Prozent der Stimmen abräumen konnte, schaffte die lokale Spitzenkan­didatin nur mit Mühe die Zehn-Prozent-Hürde. Auch die blauen Bäume wuchsen in Graz nicht in den Himmel, das Ziel eines zweiten Stadtratsi­tzes wurde verfehlt.

Die von Graz an die Bundes-ÖVP ausgesandt­e Botschaft ist klar: Die Volksparte­i kann Wahlen gewinnen, wenn es ein attraktive­s Zugpferd gibt. Dies könnte, zumindest mittelfris­tig, die zum Jahresanfa­ng stillgeleg­te Obmanndeba­tte rund um Reinhold Mitterlehn­er neu entfachen. Und: Die Zeiten, in denen SPÖ und ÖVP mühelos auf mehr als 50 Prozent kommen, sind endgültig Geschichte. Zu denken geben muss auch die niedrige Wahlbeteil­igung. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Grazer Bevölkerun­g machte von ihrem Wahlrecht Gebrauch.

Newspapers in German

Newspapers from Austria