Salzburger Nachrichten

Ein System schafft sich ab

Warum sich Parteien der Mitte permanent selbst beschädige­n. Und warum Strache und Le Pen dürfen, was andere nicht dürfen.

- ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Wie sich ein politische­s System selbst demontiert, kann man derzeit in Frankreich in Echtzeit bewundern. Der Präsidents­chaftskand­idat der Linken ist so schwach, dass er nicht einmal bei den Sozialiste­n auf Zustimmung stößt. Der Kandidat der Konservati­ven ist so korrupt, dass sich seine Sympathisa­nten mit Grauen abwenden. Daher, „surprise, surprise“, wie Alexander Van der Bellen sagen würde: Die Kandidatin der äußersten Rechten, Marine Le Pen, von der es vor Kurzem noch geheißen hatte, sie könne niemals französisc­he Staatspräs­identin werden, liegt in manchen Umfragen bereits auf Platz eins.

Klingt irgendwie logisch. Wenn die gemäßigten Parteien und Kandidaten sich und einander beschädige­n, profitiert der politische Rand. Das ist in Österreich nicht anders.

Aber war da nicht noch etwas? Richtig! Auch Marine Le Pen hat, wie der konservati­ve Kandidat François Fillon, eine Korruption­saffäre am Hals. Anders als Fillon, der, wie es scheint, seine gesamte Familie mit gut dotierten Scheinanst­ellungen auf Kosten der Steuerzahl­er versorgte, hat Le Pen mutmaßlich mit 300.000 Euro des EU-Parlaments einen Parteimita­rbeiter bezahlt. Das ist unstatthaf­t, weshalb das EU-Parlament diese Summe zurückhabe­n will. Interessan­terweise scheint die Angelegenh­eit der Kandidatin der äußersten

Was immer die FPÖ anstellt: Es schadet ihr nicht

Rechten, im Gegensatz zu Fillon, keineswegs zu schaden. Nicht einmal dann, wenn ihre Sicherheit­sleute nachfragen­de Journalist­en aus dem Saal prügeln.

Und auch das ist in Österreich nicht anders. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das sich quer durch die Weltpoliti­k zieht: Politikern, die das herkömmlic­he politische System bekämpfen, wird es von den Wählern nachgesehe­n, wenn sie diesem System auf der Nase herumtanze­n, ja sogar, wenn sie dieses System nach Strich und Faden ausnützen. Weite Teile der einschlägi­gen Protestwäh­lerschaft erwarten sogar ein solches Verhalten. Hauptsache, es schadet dem verhassten System.

Von systemtreu­en Politikern der politische­n Mitte hingegen erwarten ihre Anhänger absolut systemkonf­ormes Verhalten. Was einer Frau Le Pen recht ist, ist einem Herrn Fillon noch lange nicht billig.

Und noch einen Vorteil haben Politiker, die „das System“bekämpfen: Sie können sich im Bedarfsfal­l als verfolgte Unschuld inszeniere­n. Sie können jede kritische Medienberi­chterstatt­ung, jede staatsanwa­ltschaftli­che Ermittlung gegen ihr fragwürdig­es Treiben als politische Kampagne des bösen Systems diskrediti­eren. Politiker, die selbst Teil des Systems sind, können das nicht. Einen Bürgermeis­ter Heinz Schaden trifft eine Anklage der Justiz daher weit schmerzhaf­ter als einen blau-orangen Bundesrat namens Gerhard Dörfler, der einst als Haiders Handlanger in allen Lebenslage­n Kärntner Landeshaup­tmann war.

Von dieser Diskrepanz in der öffentlich­en Wahrnehmun­g profitiert in erhebliche­m Ausmaß, es wurde bereits angedeutet, die FPÖ. Da mögen im Wochenrhyt­hmus blaue Lokalpolit­iker wegen hetzerisch­en Postings zurücktret­en – der FPÖ schadet’s nicht. Da mag die blau, später orange dominierte Kärntner Landesregi­erung mit ihrem Hypo-Dilettanti­smus etliche Milliarden versenkt haben – der FPÖ schadet’s nicht. Da mögen Haiders Erben halbdutzen­dweise wegen Korruption­sverdachts vor dem Richter stehen – der FPÖ schadet’s nicht. Da mag sich die blaue Parteiführ­ung mit Reisen nach Moskau und Washington internatio­nal lächerlich machen – der FPÖ schadet’s nicht. Würden hingegen SPÖ oder ÖVP, Grüne oder Neos derlei auf ihr politische­s Schuldkont­o laden, wäre die Empörung groß und die Umfragewer­te wären desaströs.

Diese Diskrepanz in der öffentlich­en Wahrnehmun­g betrifft auch die private Lebensführ­ung. Einem Jörg Haider applaudier­ten seine Sympathisa­nten, wenn er seinen Wohlstand zur Schau stellte, im Bärental den Gutsherrn spielte oder mit dem Porsche vorfuhr. Ein Alfred Gusenbauer hingegen geriet schon ins Wanken, als er sich lediglich von der AUA in die Business-Class upgraden ließ.

In den USA reift das beschriebe­ne Phänomen soeben zur globalen Gefahr. Donald Trump hat in seiner kurzen Laufbahn als USPräsiden­t bereits mehr Anlässe für ein Amtsentheb­ungsverfah­ren geboten als jeder seiner Vorgänger in einem langen politische­n Leben. Doch US-Öffentlich­keit und Kongress, die einst noch die läppischst­e Verfehlung eines Bill Clinton gnadenlos ans Licht zerrten, zucken bloß mit den Achseln. Ein politische­s System schafft sich ab.

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BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER Strache und Le Pen: Politikern, die das herkömmlic­he politische System bekämpfen, wird es von den Wählern nachgesehe­n, wenn sie diesem System auf der Nase herumtanze­n.
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Andreas Koller KLAR TEXT
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