Salzburger Nachrichten

Sicher durch die Krisenland­schaften der Welt navigieren

Deutsche Politikexp­erten werten den Auftritt Donald Trumps als Unsicherhe­itsfaktor in der internatio­nalen Szene.

- HELMUT L. MÜLLER

Krisen sind in der internatio­nalen Politik zum Normalfall geworden. Statt mit einzelnen Krisen hätten wir es mit „zusammenhä­ngenden Krisenland­schaften“zu tun, konstatier­t der deutsche Politikexp­erte Volker Perthes. Der Syrien-Konflikt und die Flüchtling­sströme, die Terrorgefa­hr und unser Verhältnis zu Russland, die innere Entwicklun­g der Türkei und der Zustand der EU sind Teilstücke einer großen Krisenland­schaft, die ineinander übergehen.

Politik sollte folglich nicht mehr die Erwartung wecken, betont Perthes, dass sie nach und nach alle Krisen lösen könne. Oftmals werde es vielmehr um „intelligen­tes Krisenmana­gement“gehen – oder darum, möglichst sicher „durch die Krisenland­schaft zu navigieren“. Das Brexit-Votum in Großbritan­nien und die Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidente­n haben bereits 2016 manches infrage gestellt, was als sicher gegolten hat. Beide Negativere­ignisse lassen sich laut Perthes als Folge eines in den westlichen Industries­taaten stark verbreitet­en, aber häufig ignorierte­n Unbehagens an der Globalisie­rung deuten. Die Welle des Verdrusses hat längst auch die Europäisch­e Union erfasst. Denn die EU kann nicht mehr überzeugen­d darstellen, dass sie „schützt und nützt“.

In ihrer Studie „Krisenland­schaften“gibt die von Perthes geleitete Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin einen Ausblick auf die Konfliktko­nstellatio­nen internatio­naler Politik 2017. Unsicherhe­it in der internatio­nalen Szene schafft demnach vor allem der Machtwechs­el in Washington. Mit Donald Trump hat zum ersten Mal ein Präsident sein Amt angetreten, der die internatio­nale Verantwort­ung und die globale Führungsro­lle der USA nicht als unverzicht­baren Bestandtei­l von Amerikas nationalem Interesse begreift. „Was sich programmat­isch abzeichnet, ist eine rein an nationalen Interessen der USA ausgericht­ete Weltmachtp­olitik.“

Russland wirkt inzwischen als ein politische­r Akteur, der durch die umstritten­en Interventi­onen in der Ostukraine und in Syrien seine Handlungsm­öglichkeit­en ausweiten konnte. Dass die russische Führung und die westlichen Staaten nach gemeinsame­n Lösungen suchen, „scheint angesichts des wechselsei­tigen Vertrauens­verlustes und der oft gegensätzl­ichen Wahrnehmun­g internatio­naler Konflikte fast unmöglich“. Beide Seiten müssen mit kleinen Schritten beginnen und eine weitere politische Eskalation, auch rhetorisch, abwenden.

Die USA und China sind wirtschaft­lich eng miteinande­r verflochte­n. Dennoch steigert sich die Rivalität zwischen einer etablierte­n Macht, die bisher die Asien-PazifikReg­ion militärisc­h dominiert, und einer aufsteigen­den Macht, die selbst den Anspruch auf eine Vormachtst­ellung in dieser Weltgegend erhebt. Zwischen beiden Staaten herrscht ein „strategisc­hes Misstrauen“, was die Absichten der anderen Seite betrifft: Washington argwöhnt, dass China die USA aus der Region verdrängen wolle; Peking klagt über eine „Einkreisun­gspolitik“der USA, die Chinas Aufstieg bremsen solle. China bildet mit Russland eine Art Zweckallia­nz, um die Weltdomina­nz der USA abzuschütt­eln und eine neue, multipolar­e Weltordnun­g zu etablieren. Dieses globale Machtspiel setzt Europa stark unter Druck.

Zum Weiterlese­n: Volker Perthes (Hrsg.): „Krisenland­schaften“. Konfliktko­nstellatio­nen und Problemkom­plexe internatio­naler Politik. Studie der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP), Berlin 2017.

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