„Mister Europa“kontra Merkel
Wie macht man Wahlkampf gegeneinander, wenn man in vielen Punkten derselben Meinung ist? Ein erster Blick auf das Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD).
BERLIN. Martin Schulz (SPD) hat sich viel vorgenommen. Er will deutscher Bundeskanzler werden. Der als „Mister Europa“bekannt gewordene frühere Präsident des Europäischen Parlaments fordert die laut dem amerikanischen Magazin „Forbes“„mächtigste Frau der Welt“Angela Merkel heraus. Die will Bundeskanzlerin in Deutschland bleiben. Schulz hat bis zum 24. September Zeit zu zeigen, dass er als Regierungschef besser wäre.
Er hat den Vorteil, dass seine Kandidatur eine große Euphorie bei den Genossen auslöste und sogar die Umfragewerte der SPD deswegen deutlich stiegen. In der Union dagegen lässt sich eine gewisse Merkel-Müdigkeit konstatieren. Wenn die CSU schon vor dem großen Versöhnungstreffen mit der CDU Merkel zur gemeinsamen Kandidatin ausgerufen hat, so ist dafür durchaus ein gewisser Schulz-Faktor verantwortlich.
Mit einem knallharten Wahlkampf ist allerdings nicht zu rechnen. Zwar ist Schulz temperamentvoller als Merkel. Das ist der wohl größte Unterschied zwischen den beiden. Aber ein „Krawallo“ist Schulz nicht. Auch versteht er sich viel zu gut mit der Kanzlerin. Die hat ihm sogar per SMS zur Kanzlerkandidatur gratuliert, was Schulz mit den Worten kommentiert hat: „Das war eine freundliche SMS, die ich freundlich und höflich, so wie wir immer miteinander umgehen, beantwortet habe.“Schulz und Merkel kennen und schätzen einander schon seit Jahren. Bei vielen Themen sind sie derselben Meinung, wie etwa in der Flüchtlingsfrage, aber auch, was die Haltung zur Türkei und die Rettung Griechenlands in der Schuldenkrise anbelangt. Wo die großen inhaltlichen Unterschiede liegen, werden erst die kommenden Monate zeigen. Was sich jetzt schon abzeichnet, ist ein Unterschied in Steuerfragen: Schulz will dabei große Vermögen stärker heranziehen. Spannend wird es aber erst, wenn der SPD-Kanzlerkandidat klarstellt, wo große Vermögen anfangen.
Schulz und Merkel sind nicht die großen charismatischen Politiker. Sie stehen für Pragmatismus. Die Politik der Kanzlerin ist seit langer Zeit an der Frage des Machbaren ausgerichtet. Radikale Reformen wie vor ihrer Kanzlerschaft sind nicht ihre Sache. Auch in der eigenen Partei wirft man ihr oft vor, dass sie keine Visionen hat. Bei Schulz gehört die soziale Gerechtigkeit zu den großen Themen. Das ist ein Traditionsthema der SPD, auf das noch kein Kandidat zu verzichten gewagt hat.
Schulz und Merkel sind fast in gleichem Alter: Die Kanzlerin ist 62, ihr Herausforderer 61 Jahre alt. Beide kommen aus der Provinz. Schulz ist in Würselen bei Aachen an der Grenze zu Belgien aufgewachsen. Merkel ist zwar in Hamburg geboren, aber im brandenburgischen Templin groß geworden. Merkels Vater war evangelischer Pfarrer; Schulz dagegen ist katholisch.
In der Schule waren sie unterschiedlich erfolgreich. Merkel war gut in Mathematik und Russisch. Sie gewann nationale Wettbewerbe. Im Studium glänzte sie mit EinserAbschlüssen. Für Schulz war „Mathe“ein Buch mit sieben Siegeln. Er blieb zwei Mal in der elften Klasse sitzen und schaffte so nur die mittlere Reife. Nachdem ihm eine Laufbahn als Fußballer verwehrt geblieben war, absolvierte er eine Buchhändlerlehre und gründete eine Buchhandlung in Würselen, die es nach wie vor gibt. Er hat sich ständig weitergebildet und gilt als „Leseratte“. Der Autodidakt spricht Französisch, Englisch, Niederländisch, Spanisch und Italienisch. Merkel kann sich fließend in Englisch und Russisch unterhalten.
In die Politik ist Schulz weitaus früher eingestiegen als Merkel: Bereits mit 19 Jahren trat er in die SPD ein und absolvierte dann die übliche „Ochsentour“über Stadtrat und Bürgermeister zum Europaabgeordneten bis hin zum EU-Parlamentspräsidenten. Merkel dagegen kam erst mit der Wende in der DDR 1989 in die aktive Politik. Da war sie schon 35. Aber dann ging es schnell bergauf mit ihr: Zunächst war sie Mitglied des Demokratischen Aufbruchs, einer Bürgerrechtsbewegung, die dann in der CDU aufging. In der DDR war sie Vizeregierungssprecherin.
Nach der Wiedervereinigung machte der damalige Kanzler Helmut Kohl Merkel zur Ministerin. Nach Kohls Niederlage 1998 und der CDU-Spendenaffäre emanzipierte sich „Kohls Mädchen“vom CDU-Übervater. Sie zog immer mehr Macht an sich und bootete bald alle männlichen Konkurrenten aus. Inwiefern Schulz einen solchen unbedingten Machtwillen hat, muss sich erst zeigen.