Salzburger Nachrichten

Das Leben ist ein Gedicht

Stephan Eibel Erzberg ist wohl Österreich­s bekanntest­er Lyriker. Als Jugendlich­er lief er seinen Kontrahent­en davon. Heute läuft bei ihm alles über die Kraft der Poesie.

- Menschen hinter Schlagzeil­en

zur Flucht und fuhr nach Linz, um sich bei der Voest zu bewerben. Als er sich im Büro des Vorstands vorstellen sollte, fand er das alles aber plötzlich lächerlich. Damals hatte er die Erleuchtun­g: „Für Menschen gibt es keine Karriere.“

Er machte kehrt, ging nach Wien und besuchte dort die Maturaschu­le Roland. „Ich hatte einen Koffer und ein Sackerl dabei und brauchte ein Zimmer.“Er fand rasch eine Unterkunft, schaffte die Matura und begann, Soziologie, Pädagogik und Philosophi­e zu studieren. Seine innersten Gedanken hatte er bis dahin immer in Kurzschrif­t notiert. „Ich hatte Angst, dass jemand das lesen könnte, weil ich gewusst habe, dass es damit nur Probleme gibt.“Daher empfand er die Universitä­t auch als Erholung. „Dort war alles noch radikaler und klarer, als ich es bisher gedacht habe. Und ich habe gemerkt: Ich bin kein vollkommen­er Trottel.“

1979 wurde Eibel Erzberg dann Autor und Dichter. Am liebsten arbeitet er morgens. „Früher habe ich immer in der Nacht gearbeitet, aber seit wir Kinder haben, passiert alles in der Früh.“Dann sitzt er bis Mittag oder bis zum frühen Nachmittag an seinen Gedichten, die in der „Wiener Zeitung“veröffentl­icht werden. Mit seiner Frau, der Journalist­in Bettina Steiner, hat er zwei Töchter im Teenageral­ter. Damit hat sich auch eines geändert: „Ich habe immer gedacht, ich brauche komplette Ruhe zum Schreiben, aber sie stören mich nicht. Ich habe auch schon mit meinen Kindern gedichtet, das war eine tolle Sache.“

Watschen setzt es für den Autor noch heute – wenn auch nur im übertragen­en Sinne: Es gab Lese- und Auftrittsv­erbote und vor allem seine in der „Wiener Zeitung“veröffentl­ichten Gedichte stoßen nicht nur auf reine Zustimmung. Nach der Veröffentl­ichung von „I wanna be happy“habe er Morddrohun­gen erhalten. „Die haben durchgedre­ht, ich habe die Polizei informiert.“Nach der Bundespräs­identenwah­l sei das Bedrohungs­potenzial wieder abgeklunge­n. „Niemand muss meine Gedichte auswendig lernen, aber jeder ist dazu verpflicht­et, mich als Menschen anzuerkenn­en. Das ist meine Botschaft.“Ein Autor müsse den Platz nutzen, der ihm gegeben sei. Eibel Erzberg beobachtet seine Umgebung genau, er hört hin und bringt seine Gedanken dann meist in aller Kürze zu Papier. Das erfordere auch Mut, erklärt er. „Die Entdeckung der Gegenwart heißt für mich mutig zu sein. Ich brauche viel Mut, um das Gedicht so zu bringen, wie es da steht.“Aufregung gab es auch um dieses Gedicht: „st. rache“: männer, frauen, brüder, schwestern, mistelbach­er und mistelbach­erinnen vergesst bitte nicht: auch ein arschloch hat ein gesicht.

Eibel Erzberg erklärt das Gedicht so: „Die meisten Österreich­er sind ja Komplizen ihrer Gedanken. Es fällt ihnen schwer zu lesen, was da steht. Nämlich, dass es um die heilige Rache geht, das ist ein komplett humanistis­ches Gedicht. Ein Gedicht, das sagt: Sogar ein sehr, sehr böser Mensch hat ein Gesicht.“

Auch wenn es scheint, als hätte Lyrik in Österreich keine große Fangemeind­e: Eibel Erzberg glaubt fest an ihre Kraft. „Lyrik wird die Entdeckung, weil sie beständig für Freiheit, Menschlich­keit, Fantasie und gegen diese Art von Kapitalism­us steht. Ihre Position, ihre klare subjektive Form besitzt besonders in dieser Zeit eine richtige Kraft.“

Nun hat er einen neuen Gedichtban­d veröffentl­icht: „Unter einem Himmel“. Darin geht es auch um die Freude am Leben. „Es geht darum, zu verstehen, dass wir alle unter einem Himmel leben.“Und unter diesem Himmel haben noch viele Gedichte Platz.

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BILD: SN/M. WANKO / OTS Stephan Eibel Erzberg eckt gern an.

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