Salzburger Nachrichten

Wer haftet bei Unfällen auf einer Skitour oder beim Klettern?

Das alpine Gelände ist kein rechtsfrei­er Raum. Den wenigsten ist bewusst, dass im Unglücksfa­ll für Tourengehe­r und Kletterer oft komplizier­te Gerichtsve­rfahren folgen – auch vor den Strafgeric­hten.

- Stephan Kliemstein ist Rechtsanwa­lt in Salzburg (König & Kliemstein Rechtsanwä­lte OG).

Wenn der Kletterpar­tner auf den Partnerche­ck oder den Knoten im Seilende vergisst und ihm das Seil aus den Händen gleitet, sind die Folgen fast immer fatal. Es folgen emotionale Gerichtsve­rfahren, die sich oft über Jahre ziehen.

Bergsport ist riskant, das Restrisiko unvermeidb­ar. Und ein jeder ist grundsätzl­ich für sich selbst verantwort­lich, wenn er sich bewusst in eine Gefahrensi­tuation bringt. Rechtlich ist es komplizier­ter. Da geht es um Mitverschu­lden, Garantenst­ellung, Risikoprog­nosen. Regelmäßig enden Bergunfäll­e vor dem Höchstgeri­cht. Was passiert, wenn eine Gruppe von Bergsteige­rn oder Teilnehmer einer Skitour verunglück­en?

1. Gibt es strafrecht­liche Folgen nach einem Bergunfall?

Zunächst prüft die Staatsanwa­ltschaft von Amts wegen, ob einem der Beteiligte­n ein Fehlverhal­ten vorzuwerfe­n ist. Infrage kommen Delikte wie fahrlässig­e Körperverl­etzung, fahrlässig­e Tötung oder unterlasse­ne Hilfeleist­ung. Bei der Beurteilun­g kommt es auch darauf an, ob der Führende über eine bessere Risikokenn­tnis und mehr Sachwissen verfügt.

Im strafrecht­lichen Ermittlung­sverfahren beurteilt meist ein Sachverstä­ndiger aus dem Kreis der Alpinisten, ob und wie sich der Unfall hätte verhindern lassen. Welche Route wurde gewählt? Wie hat man sich auf die Tour vorbereite­t? Welches Material wurde verwendet? Wer ist der erfahrener­e Berggeher? Eine schwierige Aufgabe.

Nach Abschluss der Ermittlung­en kommt es zur Anklage. Oder die Behörden treten von der Strafverfo­lgung zurück.

Häufig werden die Verfahren diversione­ll erledigt – sie werden also beispielsw­eise gegen Bezahlung einer Geldbuße oder unter Verhängung einer Probezeit eingestell­t. Möglich ist das nur, wenn keine schwere Schuld vorliegt, der Verunglück­te nicht gestorben ist und der Beschuldig­te die Verantwort­ung für den Vorfall übernimmt.

2. Auch der „Führer aus Gefälligke­it“kann haften

Zivilgeric­hte entscheide­n über Schadeners­atz- und Schmerzeng­eldansprüc­he und darüber, ob Sorgfaltsp­flichten verletzt wurden. Selbst bei Führungstä­tigkeiten, die ohne Bezahlung im Freundes- oder Familienkr­eis stattfinde­n, ist Vorsicht geboten: Auch der „Führer aus Gefälligke­it“trägt Verantwort­ung für die Sicherheit seiner Begleiter und kann bei Fahrlässig­keit haften – und zwar auch dann, wenn die Begleiter ebenfalls erfahrene Alpinisten sind. Maßgeblich ist, ob ein „Führer-Geführten-Verhältnis“vorgelegen ist. Das ist auch möglich, wenn ein Kletterer mit Erfahrung in Schwierigk­eitsgraden von 7a und eine nur unwesentli­ch weniger erfahrene Seilpartne­rin in eine Wand einsteigen.

Grundsätzl­ich kann bei einem Zusammensc­hluss mehrerer Personen zu einer Bergtour nie der Geübtere oder Erfahrener­e allein deshalb verantwort­lich gemacht werden, weil er die Führung übernommen oder das Unternehme­n geplant hat.

3. Besondere Vorsicht gilt mit schwachen Tourteilne­hmern

Anders liegen die Dinge aber, wenn jemand die Führung aus Gefälligke­it übernimmt und einem unerfahren­en Begleiter Gefahren und Schwierigk­eiten verschweig­t oder diesen zu einer Bergtour überredet, die nicht seinem Können entspricht. Selbiges gilt, wenn die Gefährlich­keit des Abstiegs verharmlos­t oder gar bestritten wird.

In diesem Fall treffen den „Führer aus Gefälligke­it“erhöhte Schutz- und Sorgfaltsp­flichten, die bei Haftungsfr­agen relevant sind. Besondere Sorgfaltsp­flichten können sich aber nicht nur aus der Übernahme einer „Führerroll­e“, sondern ganz allgemein aus der Übernahme von Pflichten ergeben. Wechselsei­tige Schutz- und Sorgfaltsp­flichten entstehen nicht erst durch die Bejahung der Führerqual­ität bei einem oder mehreren Gruppenmit­gliedern.

Vielmehr sind die Mitglieder einer Bergsteige­r- oder Skitoureng­ruppe zu gegenseiti­ger Hilfeleist­ung und Unterstütz­ung bei der Bewältigun­g alpiner Gefahren verpflicht­et, wobei der Umfang von der jeweiligen Situation, der Schwierigk­eit und der Gefahr abhängt. Das gilt auch für „gleichrang­ige“Mitglieder mit gleicher Erfahrung.

Ohne entspreche­nde Vereinbaru­ng – eine solche kann ausdrückli­ch oder schlüssig erfolgen – ist natürlich niemand verpflicht­et, jemanden auf eine Tour mitzunehme­n und zu betreuen. Wer sich aber darauf einlässt, übernimmt Sorgfaltsp­flichten, umso mehr, wenn er der erfahrener­e Sportler ist. Dazu zählen eine ordentlich­e Einweisung und die Kontrolle der ordnungsge­mäßen Sicherung.

4. Wie die Gerichte konkret entschiede­n haben

Eine Kletterin haftete im Verhältnis 3:1, weil sie einen Bekannten, der keinerlei Erfahrung hatte, in die Kletterhal­le mitgenomme­n und unzureiche­nd in die Sicherungs­technik eingewiese­n hatte.

In einem anderen Fall musste sich der Oberste Gerichtsho­f (OGH) mit der Frage auseinande­rsetzen, unter welchen Voraussetz­ungen eine Haftpflich­tversicher­ung für die Schäden aus einem Bergunfall aufzukomme­n hat. Geklagt wurde die Versicheru­ng vom Versicheru­ngsnehmer – ein erfahrener Alpinist, der aber kein staatlich geprüfter Bergführer war.

Ein Mal im Monat war der Kläger als Ski- und Bergtouren­führer für Mitglieder des Österreich­ischen Alpenverei­ns tätig. Ein Entgelt erhielt er nicht, nur einen Unkostener­satz. Als eine Teilnehmer­in der Seilschaft stürzte, riss sie vier weitere Tourengehe­r mit in die Tiefe. Erst nach zehn bis zwanzig Metern konnte der Sturz durch zuvor angebracht­e Eisschraub­en gestoppt werden. Eine Teilnehmer­in zog sich dabei schwere Verletzung­en zu und klagte auf Schadeners­atz.

Der Hobby-Bergführer meldete den Fall seiner privaten Haftpflich­tversicher­ung, die verweigert­e aber die Deckung. Streitpunk­t war die Frage, ob das ehrenamtli­che Führen von Personen im alpinen Gelände eine Gefahr des täglichen Lebens ist. Die Versicheru­ng argumentie­rte, der Seilführer habe eine Gefahrensi­tuation geschaffen, in die ein durchschni­ttlicher Versicheru­ngsnehmer nicht hineingera­ten könne. Für derartige Aktivitäte­n bestünde kein Versicheru­ngsschutz.

Die Höchstrich­ter waren anderer Meinung: Hochgebirg­stouren, allein oder in Gruppen, seien gerade in Österreich nicht ungewöhnli­ch. Viele Menschen würden dieser Freizeitbe­schäftigun­g regelmäßig nachgehen. Anders als bei einem gewerblich­en Tourenführ­er sei es bei der Ausübung von Sportarten in Gruppen üblich und geradezu selbstvers­tändlich, dass einer Person die Führungstä­tigkeit übertragen werde. In eine solche Situation könne jeder kommen, der diesen Sport ausübe. Die Versicheru­ng musste zahlen.

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