Im Pop siegt die weibliche Perspektive
„Das habe ich nicht verdient“, sagte Adele. Bei den Grammys triumphierte die Sängerin – und teilte den Sieg mit ihrer Konkurrentin.
Vielleicht wollten Teeniestar Justin Bieber und Rapper Drake ja auch deshalb gleich gar nicht zur Verleihung kommen: Für das „Album des Jahres“, also die begehrteste Trophäe der GrammyNacht, waren zwar beide nominiert. Aber gegen die Übermacht der Konkurrenz, Adele und Beyoncé, hätten sie heuer ohnehin wenig auszurichten gehabt.
Vielleicht war deshalb auch die große Siegerin letztlich mehr gerührt als überrascht: Unter Tränen bedankte sich Adele für ihre gesammelten Preise. Doch wie es sich anfühlt, mit beiden Händen voll Gold dazustehen, weiß die 28-jährige britische Sängerin schon seit dem Jahr 2012. Sechs Grammys erhielt sie damals für ihr Album „21“. Damit stellte sie den Rekord von Beyoncé in der Statistik der Grammy-Gewinnerinnen ein.
Die Grammys sind nicht die einzige Skala, an der sich das Phänomen Adele messen lässt. Eine Aufstellung mit allen Trophäen und Rekorden, die sie seit ihrem ersten Auftauchen in der Musikindustrie vor zehn Jahren gesammelt hat, füllt bei Wikipedia einen Eintrag, der selbst längst rekordverdächtige Länge besitzt. Seit der Nacht auf Montag ist er um fünf Facetten reicher: Für ihr aktuelles Album „25“bekam sie erneut die meisten Grammys.
„Das habe ich nicht verdient“, sagte sie in ihrer Dankesrede gleichsam entschuldigend in Richtung der Favoritin Beyoncé, die neun Mal nominiert gewesen war und am Ende nur zwei Grammofone zu ihrer Sammlung hinzufügen konnte.
Gemessen an Kriterien der Kreativität hätte die Verteilung tatsächlich anders aussehen können. Beyoncés Album „Lemonade“gilt als multimediales Meisterwerk (das Konzeptalbum wurde 2016 mit dazugehörigem Film veröffentlicht), während Adele, die „englische Königin des Herzleids und der Erlösung“(„Los Angeles Times“), in ihren Hits meist mit den Konventionen von Soul und Popballade vorliebnimmt. Wenn es um Überwältigung geht, vertraut sie nicht auf ungewöhnliche Ideen, sondern auf die Kraft ihrer Stimme. Doch weil bei den Grammys Tradition häufig über Innovation siegt, waren Kritiker von dem Resultat kaum überrascht.
Einen Sieg der weiblichen Perspektive konnten indes beide gemeinsam feiern. Als „Geschichte vom Weg jeder Frau zu Selbsterkenntnis und Heilung“hatte Beyoncé ihr Album „Lemonade“2016 angekündigt. Als Hymne auf afroamerikanische Frauen und ihren Lebenskampf wurde es gefeiert. Auch als Abrechnung mit Ehemann Jay-Z konnte es gehört werden.
Die Dramaturgie spann sie nun bei ihrem Grammy-Auftritt weiter: In ihrer Performance inszenierte sich die Sängerin (die derzeit Zwillinge erwartet) zu den Songs „Love Drought“und Sandcastles“mit goldener Krone als Erdenmutter. Ihren Kindern wolle sie fürs Leben einmal keine Zweifel daran mitgeben, dass sie „schön, intelligent und fähig sind. Das sollte für jedes Kind jeder Rasse gelten“, sagte sie wohl auch im Hinblick auf die Ausgrenzungspolitik des neuen US-Präsidenten.
Mit Trump-Schelten hielten sich die Popstars unterdessen mehr zurück als ihre Oscarkollegen.
Von Hymnen-Spezialistin Adele gab es stattdessen eine Lobeshymne für Beyoncé: „Ihr Album ,Lemonade‘ ist so monumental. Sie ist so monumental.“Ihre Ansage, dass sie den Preis für das „Album des Jahres“gar nicht annehmen könne, weil er ihrer Kollegin gebühre, setzte Adele nach der Show gleich in die Tat um: Sie zerlegte den Grammy in zwei Hälften und reichte eine davon an Beyoncé weiter.
„Ihr Album ist so monumental. Beyoncé ist so monumental!“Adele, Grammy-Siegerin