Salzburger Nachrichten

Sebastian Kurz lobt die Leere

Vor einem Jahr hat Mazedonien mit österreich­ischer Inspiratio­n die Grenze zu Griechenla­nd geschlosse­n. Jetzt besucht Sebastian Kurz die Grenzstadt Gevgelija und feiert die Leere.

- BILD: SN/DRAGAN TATIC

Ein Jahr nachdem Mazedonien mit österreich­ischer Inspiratio­n seine Grenze zu Griechenla­nd dichtgemac­ht hat, besucht Außenminis­ter Sebastian Kurz den Grenzüberg­ang Gevgelija. Was sagt Kurz an diesem Ort zu Trumps Mauerpläne­n? „Ich habe vollstes Verständni­s dafür, wenn Länder ihre Grenzen schützen wollen.“Präsident Alexander Van der Bellen warnte indes am Dienstag vor dem EU-Parlament: „Mit der Verletzung der Würde des Menschen, mit neuen Mauern und Nationalis­men lösen wir kein einziges Problem.“

Sieben schwarze Autos mit getönten Scheiben brausen mit Polizeisch­utz durch mazedonisc­he Dörfer, deren Bewohner verwundert die Köpfe drehen. In einem der Wagen sitzt Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz und es ist seine Triumphfah­rt. Er will an die griechisch-mazedonisc­he Grenze. Vor einem Jahr schlossen die Balkanländ­er Mazedonien, Kosovo, Albanien, Montenegro, Serbien und BosnienHer­zegowina unter österreich­ischer Regie und scharfer deutscher Kritik ihre Grenzen.

Am 27. Februar 2016 standen 4200 Flüchtling­e und Migranten in Idomeni, einer kleinen Stadt an der Grenze zwischen Griechenla­nd und Mazedonien, vor einem Zaun. Bald waren es 8000. Bald rund 12.000, die im Schlamm hinter Stacheldra­ht lagerten und die Hoffnung auf ein Durchkomme­n nicht aufgaben. „Das war das Schwierigs­te“, resümmiert Kurz nun, ein Jahr später. „Die Bilder aus Idomeni auszuhalte­n. Das Gute war, dass die Balkanstaa­ten mitgemacht haben, wissend, dass es für sie leichter wäre, die Menschen einfach durchzuwin­ken. Aber sie haben uns geholfen, als Österreich überforder­t war und Unterstütz­ung gebraucht hat. “

An einer Tankstelle kurz vor der Grenze stößt der mazedonisc­he Außenminis­ter Nikola Poposki zum Tross seines österreich­ischen Amtskolleg­en. An der Grenze wartet auf beide das bestellte Bild: Auf der mazedonisc­hen Seite des Stacheldra­hts tummeln sich Polizisten und Presseleut­e. Von dem Elend, das auf der griechisch­en Seite des Zauns vor einem Jahr noch herrschte, zeugen heute nur noch Müllhaufen, die der Schnee erst kürzlich freigegebe­n hat.

„Null illegale Migration. Das war unser Ziel“, wird Sebastian Kurz später sagen. Zehn Aufgriffe pro Tag melden die Polizisten an der Grenze. Mehr Menschen seien es nicht mehr, die versuchten, über diese Route nach Mitteleuro­pa zu gelangen. „Heute kommen in vier Monaten so viele Flüchtling­e über den Balkan wie 2015 an zwei Tagen“, sagt Kurz. Der Türkei-Deal habe diese Entwicklun­g beschleuni­gt. Er posiert mit Poposki. „Gemeinsam haben wir diese Trendwende zustande gebracht“, sagt er. Dann spricht er mit 20 österreich­ischen Polizisten, die die Mazedonier bei der Grenzsiche­rung unterstütz­en. Kurz lässt sich von ihnen zeigen, wie der „March of Hope“am 14. März 2015 ablief, bei dem drei Flüchtling­e im Grenzfluss ertrunken sind.

Julian Schweighar­t, einer der Polizisten, ist vor drei Wochen zum Dienst an der Grenze angereist. Seither sitzt er des Nachts in einem Polizeibus und starrt auf die Bilder, die am Bus angebracht­e Wärmebildk­ameras liefern. „Man könnte damit sogar Kaninchen erkennen“, sagt er. Personen seien auf vier Kilometer Entfernung problemlos auszumache­n. Eine Frau taucht auf dem Bildschirm auf. Eine Spaziergän­gerin, sagt der Polizist. Wie lässt sich erkennen, wer spazieren gehen und wer illegal das Land verlassen will? „Menschen, die flüchten, bewegen sich anders“, erklärt Schweighar­t. „Sie sind meist in einer Gruppe unterwegs, bleiben stehen, verstecken sich, schicken einen vor. Das ist leicht auszumache­n.“Und dann? „ Gemeinsam mit den mazedonisc­hen Kollegen stoppen wir die Menschen. Die meisten sind müde und erschöpft, sie wehren sich nicht.“Alles Weitere obliegt den mazedonisc­hen Kollegen. Die Menschen werden nach Griechenla­nd zurückgebr­acht. Denn in Mazedonien will kaum jemand bleiben: 30 Menschen haben hier seit Jahresbegi­nn um Asyl angesucht.

Julian Schweighar­t schwenkt im Bus die Kamera. „Das ist Idomeni“, sagt er. Und die weißen Punkte da hinten? „Da drüben sehen Sie Schafe. Sonst ist da im Moment nichts.“

Vor dem Bus unterhalte­n sich Schweighar­ts Kollegen mit dem Außenminis­ter. „Die Mazedonier sind uns sehr dankbar, dass durch Österreich die Westbalkan­route geschlosse­n wurde. Wir werden überall freundlich aufgenomme­n“, sagt einer. „Dafür war ich in Griechenla­nd im Vorjahr bei Politikern nicht gern gesehen. Ein Sommerurla­ub wäre vermutlich nicht möglich gewesen“, scherzt Kurz.

Griechenla­nd fühlt sich von der EU in der Flüchtling­sfrage im Stich gelassen. Das Relocation-Programm, mit dem bis September 2017 von Griechenla­nd und Italien aus 160.000 Flüchtling­e auf andere europäisch­e Länder verteilt werden sollten, funktionie­rt nicht. 12.000 wurden bis jetzt in anderen Ländern aufgenomme­n. Auch Österreich erfüllt seine Quote nicht. Null der zu verteilend­en Flüchtling­e hat es bisher aufgenomme­n, 1953 sollten es laut EU-Verteilung­sschlüssel sein. Erst vergangene Woche wies der griechisch­e Migrations­minister Ionnis Mouzala in Wien darauf hin, dass „wir auch legale Wege möglich machen müssen. Es kann nicht nur darum gehen, Wege zu finden, wie jemand nicht nach Europa kommt. Und wir können nicht darauf warten, dass der Krieg in Syrien aufhört.“

In dieselbe Kerbe schlägt Karl Kopp, Europarefe­rent der Organisati­on Pro Asyl. „Sebastian Kurz ist zum Pressespre­cher der Hardliner in Europa geworden. Er kämpft nicht um ein gemeinsame­s europäisch­es Schutzsyst­em, er kämpft um die Auslagerun­g von Flüchtling­en. Dann seh ich zumindest nicht mehr, was mit ihnen passiert. Es ist eine australisc­h-österreich­ische Lösung, die er anstrebt. Menschenre­chte spielen in seiner Konzeption keine Rolle.“

Sebastian Kurz selbst sieht das anders: „Das System der letzten Jahre, das ich bis heute bekämpfe, hat ja nicht dazu geführt, dass den Ärmsten der Armen wirklich geholfen wird. Frauen, Kinder, Kranke und Alte sind in der Regel zurückgebl­ieben. Durchgekom­men sind die jungen Männer. Es ist nicht nur ein nicht nachhaltig­es, sehr teures System, das überforder­t und zu vielen Toten führt, es ist auch ein unfaires System.“

Also verfolgt er ein anderes: Seit Schließung der Balkanrout­e im Vorjahr haben Flüchtling­e und Migranten Ausweichro­uten gefunden – etwa über Bulgarien in Richtung Mitteleuro­pa. So kamen im Jänner rund 1900 Flüchtling­e über den Balkan nach Österreich. Viele andere versuchten es über das Mittelmeer. „Hier gab es einen Zuwachs von 20 Prozent vergangene­s Jahr. Auch diese Route muss geschlosse­n werden“, fordert Kurz.

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BILD: SN/DRAGAN TATIC Außenminis­ter Sebastian Kurz, sein mazedonisc­her Amtskolleg­e NIcolas Poposki (links) und österreich­ische Polizisten, die beim Grenzschut­z helfen, blicken nach Idomeni, wo vor einem Jahr noch 14.000 Menschen auf ein Durchkomme­n hofften. Jetzt ist die...
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Gudrun Doringer berichtet für die SN aus Mazedonien

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