„Der Skisport braucht mehr Spektakel“
Franz Klammer, der erfolgreichste heimische Abfahrer aller Zeiten, sieht die Zukunft des Skisports skeptisch. Österreichs Skiheld auf ewig war bei der Weltsportlerwahl in Monte Carlo nicht nur deshalb ein begehrter Interviewpartner.
Die große Skilegende Franz Klammer sieht die Zukunft des Skisports mit viel Skepsis. Er erklärt, warum „mehr Action“notwendig ist.
Franz Klammer ist bei der LaureusWeltsportlerwahl in Monte Carlo allgegenwärtig. Der Kärntner sitzt im Vorstand dieser Stiftung, die benachteiligten Kindern mit Sport ins Leben hilft, und hat auch im Skisport viel zu sagen. Die SN sprachen mit dem Abfahrtsolympiasieger. SN: In Monte Carlo wurden Dienstagabend die besten Sportlerinnen und Sportler weltweit mit den Laureus-Awards ausgezeichnet. Wurmt es Sie dabei, dass unter den Nominierten kein einziger Wintersportler aufscheint? Klammer: Der Skisport ist eben eine Randsportart, das muss uns klar sein. Im Alpenraum ist es das Wichtigste, weltweit ist der Skisport eben nicht so wichtig. Die sportlichen Leistungen sind unumstritten, aber auch bei den Laureus-Mitgliedern sind die Wintersportler spärlich: Neben mir sind nur noch Katharina Witt und Alberto Tomba vertreten. Da haben wir noch Aufholbedarf. SN: Was kann man machen, um den Skisport weltweit bekannter zu machen? Das Produkt Skisport ist grundsätzlich gut. Aber alles läuft über das Fernsehen und die jungen Leute schauen dort halt lieber, wenn Snowboarder über Schanzen springen. Es gibt jetzt schon viel Konkurrenz. Wir müssen einfach noch mehr Action bringen. SN: Die Ski-WM ist schon in der zweiten Woche. Sie waren eine Woche vor Ort. Wie schaut Ihre Bilanz aus, was hat Sie überrascht? Die Schweizer müssen was Besonderes gegessen haben (lacht). Ihre Leistungen waren bisher unglaublich. Aber es ist schön, denn die Schweizer haben in den letzten Jahren ja ziemlich gelitten. Und bei einer Heim-WM so zuzuschlagen ist fantastisch. In den letzten zehn Jahren sind die Schweizer immer hinterhergefahren. Allein am Montag die zwei Medaillen in der Kombination, das ist unglaublich. Die WM schreibt einfach solche Geschichten. Besonders gefreut hat mich die Überraschungs-Goldene von Nici Schmidhofer gleich im ersten Bewerb. Niemand hat damit gerechnet, dass sie gewinnen kann. Überraschungen hat es bei einer WM immer gegeben. Denn viele Läufer können gut Ski fahren, haben aber keinen Druck. Dann kommt das gute Ergebnis. So etwa wie beim Osborne-Paradis und seiner Bronzenen im Super G. SN: Was ist Ihre Meinung zum WM-Mammutprogramm von Marcel Hirscher? Das werden danach die Ergebnisse beantworten. Leicht wird es nicht. Anscheinend gibt es im Slalom weiche Verhältnisse, das sind nicht seine Lieblingsbedingungen. Aber Skirennen fahren auf normalem Schnee ist auch okay. Es muss nicht immer alles blankes Eis sein. Meines Erachtens ist es zu viel, was Marcel fährt. SN: Marcel Hirscher scheint ja seine sechste Gesamtweltcup-Kugel schon fix gewonnen zu haben. Was sagen Sie zu seinen Leistungen über die Jahre? Der Marcel ist so ein Ausnahmekönner. Ich glaube, diese Konstanz hat nicht einmal ein Ingemar Stenmark hingebracht. Der schlechteste Platz ist vielleicht einmal ein vierter Platz im Slalom oder Riesenslalom. Unglaublich. Aber das ist die Belohnung für die harte Arbeit, er überlässt einfach nichts dem Zufall. Er ist konditionell allen überlegen, deshalb ist er auch von Verletzungen verschont. Außerdem ist Marcel sehr belastbar und im Rennstress wird er noch einmal besser. Insgesamt ist es aber so, dass die Speed-Fahrer gegen Techniker im Gesamtweltcup keine Chance mehr haben. Bei der Abfahrt ist man viel mehr von den äußeren Bedingungen abhängig, es kann viel danebengehen. Im Slalom fahren die Besten im ersten Lauf nebeneinander und auch im zweiten Lauf. Das ist unausgeglichen. Noch dazu wird der Super G oft Riesentorlauf-ähnlich gesteckt. Karl Schranz hat vorgeschlagen: Um den Gesamtweltcup gewinnen zu können, musst du in allen Disziplinen fahren und in allen Disziplinen punkten. Ich finde, das ist ein guter Ansatz. Dann bist du der komplette Skifahrer. SN: ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat angekündigt, dass er im Verband etwas verändern will. Es soll mehr Einzelteams wie bei Hirscher geben. Ein gangbarer Weg? Es muss etwas passieren im Verband, da hat der Präsident recht. Ob aber das Einzeltraining die wahre Geschichte ist, bezweifle ich. Die Norweger sind beispielsweise eine kleine, aber eingeschworene Gruppe und machen alles gemeinsam. Die Burschen müssen einfach auf das Niveau von Marcel Hirscher kommen, was die Fitness betrifft. SN: Marcel Hirscher ist ja dann auch den Teambewerb gefahren. Österreich ist frühzeitig ausgeschieden. Gefällt Ihnen eigentlich der Bewerb? Der Bewerb muss ein bisschen mehr Pep kriegen. Lustig wäre es dann, wenn der andere im Ziel ist und oben die Tür aufgeht für den nächsten Läufer. So ähnlich wie beim Teamrodeln. Das wäre ein Spektakel. So gibt es zwischendrin immer wieder lange Wartezeiten zwischen den Läufen. Es ist zu wenig Pfeffer drinnen. SN: 1974 haben Sie bei der WM in St. Moritz Kombinationsgold und Abfahrtssilber hinter David Zwilling geholt. Sie kommen gerade aus St. Moritz: Was hat sich verändert? Wir sind damals in der Abfahrt alles gerade gefahren (lacht). Wir sind Abfahrt gefahren, jetzt fahren sie Kurven. Ich war 1974 ein junger Bursche, der Medaillen machen wollte, aber es war nicht selbstverständlich, dass ich auch welche erreiche. Ich hätte Gold in der Abfahrt machen können, war aber trotzdem mit Silber zufrieden. Bei uns war ja immer Nebel. Diese berühmte Maloja-Schlange, wie jetzt auch, ist je- den Tag gekommen, wir haben fünf Tage warten müssen auf dem Berg. Insgesamt war es aber trotzdem eine traumhafte WM in St. Moritz. SN: Sie haben zuerst gesagt, dass ihr damals nur gerade hinuntergefahren seid. Was hat sich wirklich seit damals verändert im Skisport? Die Voraussetzungen, die Pisten waren ganz anders. Die Strecken waren viel unruhiger und unsere Ski waren auf den Geraden schnell, aber in den Kurven sehr langsam. Wo heute drei Kurven gefahren werden, sind wir gerade hinunter. Das war fast kriminell und es hat auch immer wieder viele Stürze gegeben. Damals hast du nicht alles voll fahren können, heute ist alles so gebaut, dass du voll fahren kannst und nichts passiert, wenn du keine Fehler machst. SN: Die Seriensiege wie bei Ihnen damals in der Abfahrt gibt es heute offensichtlich nicht mehr. Warum nicht? Ich glaube, ich war der Erste, der einen Carvingschwung gefahren ist, ohne Carvingski zu haben. Das hat sehr lang gedauert, bis die anderen Läufer das erkannt haben. Unten sind die Ski immer gefahren und mit dem Oberkörper habe ich das ausgeglichen. So war ich eine Zeit lang nicht zu schlagen. Außerdem ist es heute immer schwieriger, Seriensiege zu feiern. Früher hast du Passagen gehabt, wo du viel Zeit hast holen können. Diese Schlüsselpassagen gibt es heute nicht mehr. Die Slalomfahrer verlieren heute in der Abfahrt zwei Sekunden, früher waren sie fünf bis sechs Sekunden hinten, weil eben alles durch die Präparierung so fahrbar ist. Franz Klammer (63) ist mit 25 Abfahrtssiegen erfolgreichster Abfahrer der Weltcupgeschichte, mit dem Olympiasieg 1976 in Innsbruck wurde er zum Skihelden, seit dem Jahr 2000 engagiert sich der Kärntner für die Laureus-Stiftung.