Salzburger Nachrichten

Der Fuchs, die Gans und der Kampf an der falschen Front

Linke und Liberale verzetteln ihre Energie im Ringen um ehrenwerte, aber gleichzeit­ig oft nebensächl­iche Themen.

- VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Die Nachricht erschien in den SN unter dem Titel „Verrückt“: In der deutschen Stadt Limburg nahm der Bürgermeis­ter das Lied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“aus dem Programm des örtlichen Glockenspi­els, weil sich eine Frau wegen der Textpassag­e „sonst kommt dich der Jäger holen mit dem Schießgewe­hr“unwohl gefühlt hatte. Die Dame ist Veganerin und offenbar deshalb besonders sensibel gegen jede Form von Gewalt gegen Tiere. Erstaunlic­h freilich, dass sie sich an der Gewalt des Fuchses gegen die Gans nicht gestört hatte. Erstaunlic­h auch, dass sie als Veganerin den Text des Liedes überhaupt kannte (das Glockenspi­el konnte ja nur die Melodie reproduzie­ren).

Die Story wäre allenfalls Anlass für homerische­s Gelächter, zeigte sie nicht eine tiefere Strömung im gesellscha­ftlichen Diskurs unserer Tage. Ein erhebliche­r Teil der Gesellscha­ft befasst sich mit durchaus wichtigen Themen wie Gewaltfrei­heit und Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er auf eine Weise, die weder diesen Themen gerecht werden noch Ungerechti­gkeiten beseitigt. Der Tanz ums Binnen-I, der Versuch, das Wörtchen „man“aus dem Sprachscha­tz öffentlich­er Dokumente zu verbannen, der Zwang, Diplomarbe­iten und Dissertati­onen „gendergere­cht“abzufassen – all das kostet Energie, macht viel Wirbel und bewirkt rein gar nichts. Genauso die Kämpfe um fleischfre­ie Tage in Parlaments­kantinen, Kampagnen gegen Impfaktion­en und für Unisex-Toiletten für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau definieren wollen. Jedes dieser Anliegen ist durchaus verständli­ch, aber sie gewinnen zeitweise eine Bedeutung, die das Ringen zwischen grundlegen­d gegensätzl­ichen Konzepten von Politik und Demokratie überschatt­et.

Zur gleichen Zeit verabsäume­n es Linke und Liberale, sich den wirklichen Bedrohunge­n unseres politische­n und gesellscha­ftlichen Lebens zu stellen. Viel zu lang hat man zugeschaut, wenn populistis­che Politiker mit atemberaub­enden Lügen und irrwitzige­n Verdrehung­en auf Stimmenfan­g gingen. Das hat schon bei Jörg Haiders „Läusejoghu­rt“(im EU-Wahlkampf vor 23 Jahren) begonnen und endet noch lang nicht bei Heinz-Christian Straches erfundenen und über Facebook verbreitet­en Plünderung­en von Supermärkt­en durch Flüchtling­e. Linke und Liberale haben in zwei Jahrzehnte­n kein Rezept gefunden, wie sie den schmutzige­n Methoden jener Populisten begegnen könnten, die dem Volk zuerst riesige Gefahren vorgaukeln, ihm Ängste einreden und hinterher behaupten, sie seien die Einzigen, die sich um die Sorgen der Bevölkerun­g kümmerten. Stattdesse­n vergeudet ein Teil der Gesellscha­ft Energien im Streit untereinan­der, wo es viel wichtiger wäre, sich autoritäre­n Gelüsten der Rechtspopu­listen entgegenzu­stellen.

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Viktor Hermann

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