Kreml mischt sich in Deutschland ein
Wie Moskau eine Russin in Berlin für Merkel-Bashing anwerben wollte und wie eine angeblich deutsche Partei schon jetzt Stimmung macht.
Beim Wort „Agitation“wurde sie stutzig: Die Berlinerin Olga Sokolova wusste nicht so recht, wie ihr geschah, als sie plötzlich per Smartphone aus dem fernen Moskau das Angebot für einen sehr ungewöhnlichen Job erhielt: „Wahlkampf gegen die Bundesregierung und Merkel in Facebook“solle die 29-jährige gebürtige Russin betreiben. Absender war eine Frau, die ihr eine gemeinsame Bekannte im ChatProgramm „Telegram“vermittelt hatte.
Sie solle in Facebook gezielt „nach einem deutschsprachigen Zielpublikum suchen“, erzählt Sokolova. „Dort sollte ich dann Meldungen verbreiten, die sie mir aus Moskau schicken würden, um Stimmung gegen die Kanzlerin zu machen.“Mehrfach sei von „Agitation“die Rede gewesen, betont die wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Berliner Universität. Die Frau am anderen Ende der Leitung, die nicht offenlegte, für wen sie arbeitete, ließ keine Zweifel daran, wo die Schwerpunkte der Agitation liegen sollten: Bei den Themen Migration, soziale Ungerechtigkeit und der „Persönlichkeit Merkels“– offenbar eine Umschreibung für eine Schmutzkampagne.
Kaum hatte Sokolova, die Putins Politik kritisch gegenübersteht, das Angebot freundlich abgelehnt, war der Dialog in dem verschlüsselten Smartphone-Chat-Programm gelöscht. Inzwischen ärgert sich die junge Frau, dass sie keine Screenshots gemacht und nicht weiter nachgefragt hat. Aber sie sei einfach zu überrascht gewesen. Als Beweise hat die Berlinerin nun nur die Telefonnummern ihrer Kontaktpersonen in Moskau.
Sokolovas Bericht untermauert, wovor Experten seit geraumer Zeit warnen: eine Einmischung Moskaus in den deutschen Wahlkampf. Angriffsziel ist Angela Merkel. Sie gilt als härteste Widersacherin Wladimir Putins unter den westlichen Staats- und Regierungschefs – nicht zuletzt, weil sie als ehemalige DDR-Bürgerin die Denkweise des Kremlchefs durchschaut wie kein anderer westlicher Spitzenpolitiker. Auch die Sanktionen gegen Russland stehen und fallen mit der Kanzlerin.
Laut einem Bericht von „Süddeutscher Zeitung“, WDR und NDR haben der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz zwar in einer zwölfmonatigen Untersuchung keine Beweise für eine russische Desinformationskampagne in Deutschland gefunden. Aus Sicherheitskreisen ist jedoch zu hören, der geheime Bericht sei irreführend wiedergegeben worden – und enthalte sehr wohl Handfestes, insbesondere was zwei Parteien vom rechten bzw. linken Rand des politischen Spektrums und deren Verbindungen nach Moskau angehe.
Vergangene Woche berichtete im ZDF ein hochrangiger Überläufer des KGB-Nachfolgers FSB, Moskau habe Agenten als tschetschenische Asylbewerber nach Deutschland eingeschleust; diese hätten sich auch in muslimische Gemeinden integriert. Der ZDF-Bericht hat bisher weder Debatten ausgelöst noch zu politischen Konsequenzen geführt.
Um Belege für eine russische Desinformationskampagne in Deutschland zu finden, reicht ein Blick in Moskauer Auslandsmedien wie RT, das frühere „Russia Today“, oder Sputnik. Hier werden zuweilen haarsträubende Falschmeldungen verbreitet und Ressentiments gegen Ausländer und Migranten geschürt.
Eine besonderes Augenmerk gilt den drei bis vier Millionen Russischsprachigen in Deutschland, mehrheitlich Spätaussiedler. Via Satellit und Kabel sehen viele von ihnen das Moskauer Fernsehen, wo absurde Meldungen über angeblich schreckliche Zustände in Deutschland verbreitet werden.
Die 2013 in Deutschland gegründete KremlRetortenpartei „Die Einheit“, selbst ernannte Interessenvertretung der Russlanddeutschen, hat eine eigene Zeitung aufgelegt und breit verteilt. Parteichef Dmitrij Rempel behauptete unter anderem in Moskauer Staatsmedien, 500.000 Russlanddeutsche säßen auf gepackten Koffern, um auf die von Russland okkupierte Krim auszuwandern.
Er ruft zum Kampf gegen die Regierung Merkel auf: „Wir sind bereit, gegen die verbrecherische Fahrlässigkeit der Regierung bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu kämpfen, gegen die Verleumdung und niederträchtige Haltung, die die Regierung und die Medien in Deutschland gegenüber Russlanddeutschen bezogen haben.“
Der russische Soziologe Igor Eidman, der im Exil in Berlin lebt, fühlt sich an Wahlkämpfe zu Hause erinnert, bei denen er auch selbst mitgewirkt hat. „Das Methoden ähneln sich. Im konkreten Fall etwa eine Fake-Partei, deren Ziel darin besteht, andere Parteien zu diskreditieren“, betonte er. Als Fachmann erkenne er „die Handschrift der russischen Polit-Technologen“. Dazu gehöre das Schüren von Ängsten, wie etwa in einem „Leserbrief“: „Die Menge stürmte auf die Uferstraße. Man sah nur selten ein weißes Gesicht. Es waren vor allem Flüchtlinge, gut gekleidet, mit Smartphones . . . mir wurde ganz heiß bei dem Gedanken ,Wie werde ich es nach Hause schaffen?‘.“„Es ist fünf vor zwölf“, warnt Eidman. „Leider wird in Deutschland die Gefahr durch die Einmischung Russlands viel zu wenig ernst genommen.“Den gleichen Fehler hätten schon die Demokraten in den USA gemacht.