Ohne Treibstofflager gäbe es keine Sterne-Restaurants
Die Franzosen mieden Automobile wie der Teufel das Weihwasser. Bis der „Guide Michelin“begann, Restauranttipps zu geben.
Seit es Automobile gibt, hängen Essen und Tankstellen unmittelbar zusammen. Das war dem Industriellen André Michelin schon vor mehr als 100 Jahren klar. Der Franzose dachte damals intensiv darüber nach, wie er seine Landsleute für eine laute und stinkende Innovation namens Automobil interessieren könnte. Er kam zu dem Schluss: Man muss Franzosen Adressen guter Restaurants verraten, die nur mit dem Automobil relativ bequem erreichbar sind. Und die Adressen von Treibstofflagern natürlich auch. Mit dieser Maßnahme wollte er seinen Reifenabsatz ankurbeln.
Zu diesem Zweck engagierte Michelin einen unverschämt guten Autor namens Maurice Edmond Sailland (1872–1952). Dieser sollte unter dem Pseudonym Curnonsky GourmetGeschichte schreiben. Dabei wollte sich Curnonsky zunächst partout nicht mit dem Automobil anfreunden. In seiner ersten Absage an Michelin hielt er noch fest: „Wenn ich irgendwo pünktlich ankommen will, dann kann ich mich ebenso rechtzeitig zu Fuß auf den Weg machen.“Aber Michelin zahlte gut. Und Curnonsky notierte schließlich in sein Tagebuch: „Dann ernähre ich mich eben jetzt von Gummi.“Anschließend überlebte er innerhalb von acht Jahren 30 Autounfälle. Immerhin konnte er dank dieser Reisen eine 28-bändige Buchreihe verfassen, die noch heute als kulinarischer Atlas Frankreichs gilt. Aus dieser Zeit stammen auch die bis heute gültigen Auszeichnungen des „Guide Michelin“. Ein Stern steht für eine Küche voller Finesse („Einen Stopp wert“), zwei Sterne stehen für Spitzenküche („Einen Umweg wert“) und drei Sterne stehen für eine einzigartige Küche („Eine Reise wert“). Kein Scherz: Ohne Automobil und Treibstofflager gäbe es heute keine abgehobene Sterneküche.
Was auf den Landstraßen als Segen für die Gastronomie begann, wurde auf den Autobahnen zum Fluch. In Autobahnrestaurants gab es von Beginn an nur malbouffe (dt.: „schlechtes Fressen“). Als der Filmregisseur Claude Zidi 1976 in einem Lokal der Kette Restoroute einkehrte, war er dermaßen entsetzt, dass er mit Louis de Funès in der Hauptrolle die hintergründige Komödie „Brust oder Keule“drehte. Hier oblag es dem Herausgeber des fiktiven Gourmet-Guides „Duchemin“(eine Mischung aus „Dumont“und „Guide Michelin“), gegen einen Lebensmittelriesen namens Tricatel anzutreten. Dieser presste in seinen Fabriken künstliche Pampe in tierische Formen, die 40 Jahre später an aktuelle vegane Produkte erinnern. Dass früher alles besser geschmeckt hätte, ist aber auch nicht wahr. Einmal schrieb Curnonsky: „Wenn die Suppe genauso warm gewesen wäre wie der Wein, der Wein auch so alt wie das Huhn und die Poularde ebenso fett wie die Hausfrau – dann wäre es gut gewesen.“