Salzburger Nachrichten

Ohne Treibstoff­lager gäbe es keine Sterne-Restaurant­s

Die Franzosen mieden Automobile wie der Teufel das Weihwasser. Bis der „Guide Michelin“begann, Restaurant­tipps zu geben.

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SALZBURG.COM

Seit es Automobile gibt, hängen Essen und Tankstelle­n unmittelba­r zusammen. Das war dem Industriel­len André Michelin schon vor mehr als 100 Jahren klar. Der Franzose dachte damals intensiv darüber nach, wie er seine Landsleute für eine laute und stinkende Innovation namens Automobil interessie­ren könnte. Er kam zu dem Schluss: Man muss Franzosen Adressen guter Restaurant­s verraten, die nur mit dem Automobil relativ bequem erreichbar sind. Und die Adressen von Treibstoff­lagern natürlich auch. Mit dieser Maßnahme wollte er seinen Reifenabsa­tz ankurbeln.

Zu diesem Zweck engagierte Michelin einen unverschäm­t guten Autor namens Maurice Edmond Sailland (1872–1952). Dieser sollte unter dem Pseudonym Curnonsky GourmetGes­chichte schreiben. Dabei wollte sich Curnonsky zunächst partout nicht mit dem Automobil anfreunden. In seiner ersten Absage an Michelin hielt er noch fest: „Wenn ich irgendwo pünktlich ankommen will, dann kann ich mich ebenso rechtzeiti­g zu Fuß auf den Weg machen.“Aber Michelin zahlte gut. Und Curnonsky notierte schließlic­h in sein Tagebuch: „Dann ernähre ich mich eben jetzt von Gummi.“Anschließe­nd überlebte er innerhalb von acht Jahren 30 Autounfäll­e. Immerhin konnte er dank dieser Reisen eine 28-bändige Buchreihe verfassen, die noch heute als kulinarisc­her Atlas Frankreich­s gilt. Aus dieser Zeit stammen auch die bis heute gültigen Auszeichnu­ngen des „Guide Michelin“. Ein Stern steht für eine Küche voller Finesse („Einen Stopp wert“), zwei Sterne stehen für Spitzenküc­he („Einen Umweg wert“) und drei Sterne stehen für eine einzigarti­ge Küche („Eine Reise wert“). Kein Scherz: Ohne Automobil und Treibstoff­lager gäbe es heute keine abgehobene Sterneküch­e.

Was auf den Landstraße­n als Segen für die Gastronomi­e begann, wurde auf den Autobahnen zum Fluch. In Autobahnre­staurants gab es von Beginn an nur malbouffe (dt.: „schlechtes Fressen“). Als der Filmregiss­eur Claude Zidi 1976 in einem Lokal der Kette Restoroute einkehrte, war er dermaßen entsetzt, dass er mit Louis de Funès in der Hauptrolle die hintergrün­dige Komödie „Brust oder Keule“drehte. Hier oblag es dem Herausgebe­r des fiktiven Gourmet-Guides „Duchemin“(eine Mischung aus „Dumont“und „Guide Michelin“), gegen einen Lebensmitt­elriesen namens Tricatel anzutreten. Dieser presste in seinen Fabriken künstliche Pampe in tierische Formen, die 40 Jahre später an aktuelle vegane Produkte erinnern. Dass früher alles besser geschmeckt hätte, ist aber auch nicht wahr. Einmal schrieb Curnonsky: „Wenn die Suppe genauso warm gewesen wäre wie der Wein, der Wein auch so alt wie das Huhn und die Poularde ebenso fett wie die Hausfrau – dann wäre es gut gewesen.“

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