Staatsanwaltschaft schließt den Akt Alijew
Für den Anwalt des verstorbenen Kasachen sind aber längst nicht alle Fragen geklärt.
WIEN. Auf dieses Gutachten haben viele lang gewartet: Anwälte, Angehörige, Journalisten, Polizisten, der Justizminister, Vollzugsbeamte und Staatsanwälte. Schließlich stand ein Justizskandal im Raum, der den Rechtsstaat Österreich wohl in seinen Grundfesten erschüttert hätte. Der ehemalige kasachische Botschafter Rachat Alijew soll in der Wiener Gefängniszelle ermordet worden sein. So lautete der Vorwurf seiner Anwälte Ende des vergangenen Jahres. Sie stützten sich dabei auf ein deutsches Privatgutachten. Die Wiener Justiz gab daraufhin in der Schweiz eine weitere Untersuchung in Auftrag. Mit dem Ergebnis will die Wiener Staatsanwaltschaft jetzt im Fall „Rachat Alijew“einen Schlussstrich ziehen. Denn laut den Erkenntnissen der Gerichtsmedizin St. Gallen beging Alijew Selbstmord. „Das Ermittlungsverfahren wird nicht wiederaufgenommen“, erklärte die Sprecherin der Wiener Staatsanwaltschaft, Nina Bussek.
„Sämtliche Befunde lassen sich widerspruchsfrei einem suizidalen Erhängen zuordnen“, so steht es etwas sperrig formuliert in dem 30 Seiten starken Befund des Schweizer Experten Roland Hausmann.
Der renommierte deutsche Gerichtsmediziner Bernd Brinkmann hatte zuvor in einem Privatgutachten massiv angezweifelt, dass Alijew Selbstmord in seiner Zelle begangen hatte.
Der Experte schloss das aus punktförmigen Blutungen unterhalb der Strangmarke. Dass sich Alijew mit Mullbinden an einem Kleiderhaken erhängt hatte, war für Brinkmann damit ausgeschlossen.
Vielmehr soll der Kasache laut Brinkmann mittels „Burking“umgebracht worden sein. Dabei wird massiv auf den Brustkorb gedrückt und gleichzeitig werden Mund und Nase zugehalten. Diese punktförmigen Blutungen seien laut dem Ergänzungsgutachten der St. Gallener Rechtsmedizin jedoch Totenflecken, sagte die Sprecherin der Wiener Staatsanwaltschaft.
Der Privatgutachter Brinkmann hatte außerdem ausgeführt, dass die sichtbaren Stauungsblutungen oberhalb der Strangmarke bei einem Suizid in der beschriebenen Form mit Mullbinden nicht möglich gewesen seien. Der Schweizer Experte Roland Hausmann habe das anhand der einschlägigen Fachlite- ratur eindeutig widerlegt, betonte Bussek. Insgesamt umfasst das Ergänzungsgutachten 30 Seiten, in denen sich Hausmann mit jedem einzelnen von Brinkmann angeführten Punkten auseinandersetzt. Für diese Expertise wurde auch die Fotodokumentation vom Auffindungsort der Leiche und der Leichenöffnung eingearbeitet, die Hausmann beim ursprünglichen Gutachten nicht zur Verfügung gestanden war. Laut der Staatsanwaltschaft gibt es auch keine Anhaltspunkte für eine gewaltsame Einwirkung vor dem Tod Alijews.
„Das ist ein Gutachterstreit, der jetzt hier entfacht ist“, erklärt Alijews Anwalt Klaus Ainedter im SNGespräch. Man habe das Gutachten sofort an den Experten Brinkmann weitergeschickt. Brinkmann, der den Fall im Vorjahr nochmals ins Rollen gebracht hatte, wollte am Dienstag auf SN-Nachfrage keine Stellungnahme zu dem Ergänzungsgutachten abgeben.
„Wir warten jetzt auf seine Stellungnahme, daraus ergeben sich die nächsten Schritte“, erklärte Ainedter. Schließlich sei der deutsche Gutachter nach mehreren Versuchen auch zu dem Schluss gekommen, dass ein Erhängen – sowie Alijew aufgefunden worden war – technisch gar nicht möglich war. Auch der Bruch von Alijews Brustbeins, der auch nach dem Tod passiert sein könnte, sei noch nicht geklärt. „Man muss aber auch einsehen, wenn man nicht mehr weiterkommt“, sagt Ainedter.