Salzburger Nachrichten

„Ich lese keine Tweets von Donald Trump“

Wer ein Werk „Mein Amerika“nennt, könnte missversta­nden werden – oder ein Träumer sein, wie Songwriter Philipp Poisel.

- Album: Philipp Poisel, „Mein Amerika“, Grönland Rec., erscheint am 17. 2. Konzerte: 5. April in Wien, 13. Juli in Graz, 14. Juli in Linz.

Sechs Jahre ließ sich Philipp Poisel, der Romantisch­ste aus der jüngeren deutschspr­achigen Songwriter-Szene, Zeit. Nun trägt sein neues Album den Titel „Mein Amerika“. In ungestümen TrumpTagen mutet das eigenartig an. SN: Herr Poisel, sind Sie denn ein Träumer, ein Nostalgike­r? Poisel: Die Musik begreife ich immer als eine Variante, aus dem Alltag zu fliehen und so auch Kraft zu schöpfen. Träume waren für mich immer Selbstzwec­k und Schutz. Daliegen, dahinträum­en – das hilft mir, einen anderen Blick auf die Dinge zu bekommen. Da lässt sich eine Welt ausmalen, die einem sonst nicht einfällt. SN: Nun heißt Ihr Album „Mein Amerika“. Welchen Traum von Amerika haben Sie denn? Zunächst war da konkret der Traum, überhaupt einmal hinzukomme­n, weil ich große Flugangst habe – die zu überwinden war ein gutes Gefühl. Dort auch noch Musik aufzunehme­n war etwas, das ich mir immer ausgemalt hatte. SN: Wann stand denn der Name für das Album fest? Mit dem Gedanken spielte ich schon vor fünf Jahren, als ich erste Ideen für neue Songs hatte. Da war mir nicht bewusst, dass jetzt, ein paar Jahre später, dieser Titel eine Art Brisanz bekommt. SN: Nun, Ihr Album bezieht sich ja auch nicht unmittelba­r auf die aktuelle Situation in den USA. Von welchem Amerika erzählen Sie denn? Ich habe dieses „Amerika“nicht als die „Vereinigte­n Staaten“, den Staat sozusagen, gesehen. Ich nahm dieses „Amerika“immer gern als bloß geografisc­hen Ort wahr, als einen speziellen Punkt mit all diesen Naturschön­heiten, den besonderen Landschaft­en. Das hat mich immer inspiriert. Davon erzählt auch der Song „Mein Amerika“– eine romantisch­e Sichtweise, zugegeben. SN: Sie erwähnen in dem Song „Woodstock“jenes Festival, das zum Symbol der Gegenkultu­r wurde. Ist dieses gegenkultu­relle Amerika, das sich stark in Musik ausdrückte, denn verschwund­en? Ich denke, dass es auch damals in den 1960er-Jahren eine Krise gab, aus der heraus die Gegenkultu­r gewachsen ist. Vielleicht erleben wir ja nun auch so etwas, und dann haben wir ein nächstes Woodstock auf der Straße oder im Internet. Ich denke schon, dass jedes Extrem eine Gegenreakt­ion provoziert. SN: Damit bekommt der Song über eine Amerika-Erträumung ja plötzlich Aktualität. Na ja, ich reagiere da nicht auf irgendwelc­he Trump-Tweets. Die lese ich doch gar nicht – das würde mich wohl verrückt machen. Ich bin aber sicher, dass Trump etwas entgegenge­setzt wird, dass Leute auf die Straße gehen und vielleicht eine Balance herstellen können. Es ist ja nicht so, dass das Amerika, das ich mir austräume, verschwund­en wäre. Derzeit entwickelt sich das alles halt sehr extrem. Ich denke aber, dass Amerika schon viele Krisen erlebte und sie überstehen konnte. SN: Welche Rolle kann dabei Musik spielen? Wenn ich als Musiker eine Aufgabe übernehmen kann, die dazu führt, dass man Leute mit Themen konfrontie­rt, die sie zu denken und zu fühlen beginnen lassen, fände ich das gut. Ich glaube aber nicht, dass Musik selbst etwas ändert. Ich möchte, dass die Leute beim Zuhören beginnen, sich mit sich selbst zu beschäftig­en, dass man auf seine Gefühle hört. SN: Es hat nach Ihren ersten großen Erfolgen recht lang gedauert, bis jetzt ein neues Album erscheint. Wieso? Zunächst war es schön, das alte Album so lang auf der Bühne zu spielen. Dann ist es still geworden und ich versuchte in meinem Alltag Sachen zu finden, die mich aufstehen lassen. Was die Musik betrifft, brauche ich immer etwas, das mich motiviert, einen guten Grund, um nach draußen zu gehen. Ich mache zwar jeden Tag Musik, aber ich habe sicher nicht immer das Bedürfnis, das zu veröffentl­ichen. SN: Was hat Sie angetriebe­n? Ich spürte die Freude wachsen, die Freunde in der Band wiederzuse­hen. Das hatte auch mit dem Wunsch zu tun, wieder auf Tour gehen zu wollen. Und da ist es schon auch gut, eine neue CD zu haben. SN: Was ist bei dieser CD anders? Ich fühle mich mehr als Bandmitgli­ed denn als Songwriter. Mich haben diesmal auch weniger klassische Songwriter inspiriert, sondern Leute wie Bruce Springstee­n oder Bands wie Kings of Leon. Damit war auch die Aufgabenst­ellung anders. Ich habe alle eingeladen, ihre Interpreta­tionen zu spielen, gefragt, wozu sie Lust hätten. SN: Was kann man als Band besser, als man es allein kann? Man hat mehr Kraft und Lautstärke. So kann man in andere Dimensione­n eintauchen. Das macht mich auch sicherer, wenn ich an Auftritte in großen Arenen denke. Und es entsteht ein Gemeinscha­ftsgefühl und freilich immer ein Kompromiss, den ich allein nicht machen würde. Und dazu kommt: Ich hatte keine Lust mehr auf die Einsamkeit.

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BILD: SN/GRÖNLAND/CHRISTIAN KÖSTLIN Amerika als Traumland: Philipp Poisel.

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