Hitzige Ausschreitungen machen neue Bilder im Kopf
Alfons Schilling wandelte sich vom Aktionisten in Wien zum Fotopionier der New Yorker Avantgarde.
WIEN. Das mit dem 3D ist so eine Sache. Wenn man eine Augenschwäche hat oder nur schielt, kann einem das Plastische am Verfahren nur zum Teil zugänglich sein. Leichter ist es mit den Hologrammen, da hat man wirklich das Gefühl, hinter dem Bild verbirgt sich ein Kopf, der einem trotz Bewegung nachstarrt. Und da hängen zahlreiche weitere Bilder in der Ausstellung, die sich dem Nachlass von Alfons Schilling (1934–2013) widmet. Aus der Entfernung wirken sie wie Silberplatten, wenn man vor ihnen steht, enthüllen sie ihr Geheimnis bei jeder kleinen Bewegung. Mit seinen Linsenrasterfotografien schuf Schilling Kippbilder, die quasi mehrere Aufnahmen in einem Bild verschmelzen. Das können auch Streifen sein, die man für sich selbst zusammensetzt, damit der Titel „Das Volk grüßt seinen Führer“Sinn ergibt. Ganze Bewegungsabläufe hat Schilling zusammengefasst in seinen Kippbildern, was bei einer Demonstration in Chicago und der Polizeigewalt großen Effekt macht. Oder er fotografierte Porträts, auf denen Gesichter unterschiedlicher Menschen miteinander verschmolzen.
Nicht nur die Demonstrationen im 1968er-Jahr trieben die Menschen auf die Straße, auch im Jahr 1970 war Alfons Schilling zur Stelle, als es am Rande eines in letzter Minute abgesagten Konzerts der Band Sly and the Family Stone zu Ausschreitungen kam und mehrere Autos in Brand gesetzt wurden. Hier verwendete Schilling Farbfilme, was der Dramatik zugutekam. Anlässlich einer Gruppenausstellung der Richard Feigen Gallery hatte Schilling seine Arbeiten in Chicago erstmals einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, 1970 hatte der gebürtige Schweizer in New York seine erste Einzelausstellung.
Als Student an der Akademie für angewandte Kunst in Wien gehörte er zum Freundeskreis von Günter Brus und entwickelte eine informelle, extrem gestische Malerei, welche geradezu die Bildfläche sprengte. Später landete Schilling in Paris, wo er Rotationsbilder entwickelte und schon das Auge des Betrachters herausforderte. Es trieb ihn weiter nach New York, wo er in zweieinhalb Jahrzehnten seine fotografischen Experimente entwickelte und mit seinen „Sehmaschinen“ seine aktionistische Neigung auslebte. 1966 war er dokumentierend bei einer Performance dabei, die Robert Rauschenberg initiiert hatte und an der Künstler wie John Cage oder Merce Cunningham teilnahmen, sein Ruf in der Avantgarde war durch den Film „9 Evenings“gefestigt. Lehrtätigkeiten und Ausstellungen führten ihn durch die USA und Europa. Seine letzte Serie von Linsenrasterfotografien kombinierte verwachsene Fötus-Präparate aus der Berliner Charité, die „Götterbilder“wirken ein wenig unheimlich.
1986 kehrte Alfons Schilling nach Europa zurück, übernahm in Wien eine Gastprofessur an der Hochschule für angewandte Kunst, starb aber nach schwerer Krankheit 2013. Noch 2009 hatte ihm zuletzt das Essl Museum eine große Werkschau gewidmet. Ausstellung: