Salzburger Nachrichten

Hitzige Ausschreit­ungen machen neue Bilder im Kopf

Alfons Schilling wandelte sich vom Aktioniste­n in Wien zum Fotopionie­r der New Yorker Avantgarde.

- Alfons Schilling, „Beyond Photograph­y“, Fotomuseum Westlicht, Wien, bis 14. Mai

WIEN. Das mit dem 3D ist so eine Sache. Wenn man eine Augenschwä­che hat oder nur schielt, kann einem das Plastische am Verfahren nur zum Teil zugänglich sein. Leichter ist es mit den Hologramme­n, da hat man wirklich das Gefühl, hinter dem Bild verbirgt sich ein Kopf, der einem trotz Bewegung nachstarrt. Und da hängen zahlreiche weitere Bilder in der Ausstellun­g, die sich dem Nachlass von Alfons Schilling (1934–2013) widmet. Aus der Entfernung wirken sie wie Silberplat­ten, wenn man vor ihnen steht, enthüllen sie ihr Geheimnis bei jeder kleinen Bewegung. Mit seinen Linsenrast­erfotograf­ien schuf Schilling Kippbilder, die quasi mehrere Aufnahmen in einem Bild verschmelz­en. Das können auch Streifen sein, die man für sich selbst zusammense­tzt, damit der Titel „Das Volk grüßt seinen Führer“Sinn ergibt. Ganze Bewegungsa­bläufe hat Schilling zusammenge­fasst in seinen Kippbilder­n, was bei einer Demonstrat­ion in Chicago und der Polizeigew­alt großen Effekt macht. Oder er fotografie­rte Porträts, auf denen Gesichter unterschie­dlicher Menschen miteinande­r verschmolz­en.

Nicht nur die Demonstrat­ionen im 1968er-Jahr trieben die Menschen auf die Straße, auch im Jahr 1970 war Alfons Schilling zur Stelle, als es am Rande eines in letzter Minute abgesagten Konzerts der Band Sly and the Family Stone zu Ausschreit­ungen kam und mehrere Autos in Brand gesetzt wurden. Hier verwendete Schilling Farbfilme, was der Dramatik zugutekam. Anlässlich einer Gruppenaus­stellung der Richard Feigen Gallery hatte Schilling seine Arbeiten in Chicago erstmals einer breiten Öffentlich­keit gezeigt, 1970 hatte der gebürtige Schweizer in New York seine erste Einzelauss­tellung.

Als Student an der Akademie für angewandte Kunst in Wien gehörte er zum Freundeskr­eis von Günter Brus und entwickelt­e eine informelle, extrem gestische Malerei, welche geradezu die Bildfläche sprengte. Später landete Schilling in Paris, wo er Rotationsb­ilder entwickelt­e und schon das Auge des Betrachter­s herausford­erte. Es trieb ihn weiter nach New York, wo er in zweieinhal­b Jahrzehnte­n seine fotografis­chen Experiment­e entwickelt­e und mit seinen „Sehmaschin­en“ seine aktionisti­sche Neigung auslebte. 1966 war er dokumentie­rend bei einer Performanc­e dabei, die Robert Rauschenbe­rg initiiert hatte und an der Künstler wie John Cage oder Merce Cunningham teilnahmen, sein Ruf in der Avantgarde war durch den Film „9 Evenings“gefestigt. Lehrtätigk­eiten und Ausstellun­gen führten ihn durch die USA und Europa. Seine letzte Serie von Linsenrast­erfotograf­ien kombiniert­e verwachsen­e Fötus-Präparate aus der Berliner Charité, die „Götterbild­er“wirken ein wenig unheimlich.

1986 kehrte Alfons Schilling nach Europa zurück, übernahm in Wien eine Gastprofes­sur an der Hochschule für angewandte Kunst, starb aber nach schwerer Krankheit 2013. Noch 2009 hatte ihm zuletzt das Essl Museum eine große Werkschau gewidmet. Ausstellun­g:

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BILD: SN/WESTLICHT Ausschreit­ungen nach einem abgesagten Popkonzert: „Chicago Riot, Burning Car“von Alfons Schilling.

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