Die Todesheilige von Mexiko
Santa Muerte: Gläubige beschenken sie mit Marihuana und Schokolade. Ihre Anhänger sollen so vor Unheil bewahrt werden. Papst Franziskus kritisiert den Kult.
Von der Straße aus wirkt das Lebenswerk von Doña Queta unscheinbar. Nur ein paar Blumensträuße am Fußweg lenken den Blick auf das hinter weißen Gitterstäben liegende Geschäft der 62Jährigen. Der Eindruck täuscht. Täglich kommen Hunderte Pilger nach Tepito in Mexiko-Stadt. Ihr Ziel ist der geschmückte Altar der Santa Muerte, vor dem sie andächtig knien, um der „Todesheiligen“zu danken oder ihre Fürbitten vorzubringen. Immer häufiger reisten Besucher aus Mittelamerika an, sagt Dona Queta: „Sie kommen wegen des Glaubens, nichts weiter.“
Als Papst Franziskus im Februar vergangenen Jahres Mexiko besuchte, kritisierte er die Kultanhänger scharf: „Ich bin beunruhigt über die vielen Verführten, die dieses Hirngespinst verherrlichen und ausgeschmückt mit schauderhaften Symbolen den Tod kommerzialisieren.“
Die Dekoration scheint durchaus todesverherrlichend. Im Zentrum des Altars von Doña Queta steht ein realistisches Abbild eines Skeletts von der Größe eines Kindes, der Totenschädel ist gerahmt von langem schwarzen Haar. Die Figur hat Doña Queta liebevoll eingekleidet in ein wallendes goldenes Kleid mit Schleier. Um das „weiße Kind“, wie die Santa Muerte auch genannt wird, reihen sich Engel und Todesfiguren auf Regalen. Opfergaben wie Bierflaschen, gefüllte Weingläser und Früchte liegen ihr zu Füßen.
Viele Symbole des Kults ähneln der katholischen Konfession. In Doña Quetas Laden neben dem Altar können die Besucher Rosenkränze und Kerzen kaufen. Auf Knien versinken sie im Gebet. „Vor der Kolonialisierung durch die Spanier existierte in Mexiko ein ausgeprägter Todeskult, der durch den eingewanderten Katholizismus von der Oberfläche verschwand“, sagt der Soziologe Alberto Hernández. Nach seiner Einschätzung vermischt sich bei dem Kult der katholische Glaube mit prähispanischen Elementen. „Die Bewegung ist keinesfalls neu. Nur ist sie viele Jahrhunderte versteckt gelebt worden.“Wegen der Stigmatisierung durch die Kirche hätten sich viele Gläubige ins Private zurückgezogen.
Der neuerliche Erfolg des Kults um Santa Muerte auch außerhalb der eigenen vier Wände ist wahrscheinlich auch Doña Queta zu verdanken. Die resolute Frau hat vor 15 Jahren ihren Altar der Santa Muerte gemeinsam mit dem Laden für Devotionalien in der Kriminalitätshochburg Tepito eröffnet. Er gilt damit als erster öffentlich zugänglicher Altar der Todesheiligen in Mexiko und wird dementsprechend häufig besucht. Der Kult indes hat sich inzwischen in ganz Mexiko etabliert und wird offen gelebt. Die Feste und Rituale haben dabei kein festes Regelwerk, sie folgen vielmehr den regionalen Traditionen. An der Karibikküste tanzen sich die Anhänger in Ekstase, in Tepito wird still gebetet.
Einen anderen Grund für den Siegeszug sieht der Soziologe Hernández in der Zunahme der Kriminalität im Land: „Die Gewalt in Mexiko hat in den vergangenen 20 Jahren anscheinend gleichermaßen zugenommen wie der Erfolg der Bewegung.“Eine Charakterisierung der Santa Muerte als Heilige der Verbrecher lehnt Hernández aber ab: „Die Santa Muerte hat diesen Ruf von der Kirche und den Medien bekommen. Ich kann nicht bestätigen, dass es mehr Verbrecher unter den Anhängern gibt. Aber auch sie werden von der Santa Muerte akzeptiert.“
Der Anthropologe und Kultexperte Antonio Higuera Bonfil erforscht die Bewegung um Santa Muerte seit Jahren und beobachtet die rasant wachsende Anhängerschaft, die über die Grenzen Mexikos hinaus geht. „Die Menschen glauben daran, dass die Santa Muerte sie vor Krankheit und Unglück beschützt. Dabei ist sie eine sehr tolerante Heilige. Sie stellt keine Forderungen an die Gläubigen. Jeder darf sein, wie er ist, ob homosexuell oder geschieden“, sagt Higuera. Damit trete sie in direkte Konkurrenz zur katholischen Kirche, die ihre Gläubigen für die vermeintlich falsche Lebensführung verurteile.