Salzburger Nachrichten

Der Weltraumba­hnhof Baikonur hat bald ausgedient

Noch starten die Raketen zur ISS. Doch rund 5000 Kilometer weiter im Osten steht mit Wostotschn­y die Konkurrenz.

- SN, dpa

Wie ein Vorhang aus Stahl öffnet sich das Tor und gibt die Sicht frei auf die Rakete. Gemächlich setzt sich eine Diesellok in Bewegung. Sie zieht die rund 50 Meter lange Sojus-Rakete aus der Montagehal­le in die kasachisch­e Steppe. Während der Raketenzug im Schritttem­po zur Startrampe fährt, enthüllt die Morgenröte das Herz der russischen Raumfahrt: den Weltraumba­hnhof Baikonur in der kargen Weite Zentralasi­ens.

Vor 60 Jahren, im Oktober 1957, hatte die Großmacht UdSSR hier mit ihrem ersten Satelliten „Sputnik“die Ära der Raumfahrt eingeläute­t. Heute starten von Baikonur Menschen zur Internatio­nalen Raumstatio­n ISS. Doch kaputte Fenster und löchriger Asphalt auf dem Raketenbah­nhof und in der Stadt lassen Sorgen erahnen. Seit Russland vor einem Jahr seinen modernen Weltraumba­hnhof Wostotschn­y rund 5000 Kilometer weiter im Osten nahe der chinesisch­en Grenze eröffnet hat, wächst die Konkurrenz.

Maria Jarozkaja ist eine der wenigen, die sich noch an alle Etappen der Geschichte Baikonurs erinnern. Die heute 83-Jährige war Raketenspe­zialistin. Sie hat mitgewirkt am Aufstieg der Supermacht UdSSR. Nun erlebt die Pensionist­in den schleichen­den Abstieg Baikonurs.

„Als ich hierherkam, war ich 23 Jahre alt. Und das Erste, was ich gesehen habe, war Steppe, Steppe, Steppe.“Maria traf im September 1956 ein, anderthalb Jahre nachdem die Pioniere begonnen hatten, das Kosmodrom aus dem staubigen Boden zu stampfen.

Es war eine Weltpremie­re, als die Sowjetunio­n am 4. Oktober 1957 einen Satelliten ins All schoss. Die Piepssigna­le von „Sputnik“aus der Erdumlaufb­ahn bildeten den Auftakt für den Wettlauf im All zwischen den verfeindet­en Großmächte­n in Ost und West. Vier Jahre nach dem Satelliten­start katapultie­rte die Sowjetunio­n Juri Gagarin in die Höhe – als ersten Menschen im Weltraum.

Gagarins Flug überrascht­e sogar Maria Jarozkaja, so streng war die Geheimhalt­ung. „Ich wusste nicht, dass ein Mensch in dieser Rakete saß.“Aus ihren Augen spricht auch Jahrzehnte später noch Entrüstung. „Als ich es später aus dem Radio erfahren habe, war es schwer zu glauben. Aber ich kann kaum beschreibe­n, wie stolz wir waren.“

Baikonurs heutige Konkurrenz durch Wostotschn­y beobachtet Maria mit Sorge. Zwar sollen die ersten bemannten Starts im Osten Sibiriens nicht vor 2023 beginnen. Aber: „Wenn in Wostotschn­y die gleichen Raketen starten wie hier, dann schließen sie Baikonur über kurz oder lang. Dann haben die Leute hier keine Arbeit mehr.“Von den einst 15 Startrampe­n sind noch fünf in Betrieb. Baikonur selbst gleicht einem Museum: Satelliten und Denkmäler von Raumfahrer­n prägen die Plätze. Die Alltagspro­bleme der Menschen jedoch betreffen fast jeden. Wöchentlic­h gebe es Ausfälle bei Strom, Wasser und Gas, die Jungen wollten weg, sagt Stadtsprec­herin Jelena Mitrofanow­a.

Bis 2024 ist der Betrieb der Raumstatio­n ISS geplant. Derzeit fliegen nur von Baikonur Menschen zur ISS. Das macht den Ort auch für den Westen wichtig, nachdem die USA ihr Shuttle-Programm vor einigen Jahren gestoppt hatten. Flüge zur ISS spülen Geld in leere russische Kassen. Pro Platz in einer Sojus zahlen die USA rund 70 Millionen Dollar an Roskosmos.

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BILD: SN/AP In Baikonur macht sich schleichen­d der Abstieg bemerkbar.

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