Salzburger Nachrichten

Die Erde hört nicht auf zu beben

Mittelital­ien kommt seit einem halben Jahr nicht zur Ruhe. Und laut Experten steht bereits neues Unheil bevor.

- SN, APA, dpa

Sechs Monate sind vergangen, seit am 24. August 2016 die mittelital­ienischen Regionen Latium, Marken und Umbrien von einer Serie massiver Erdstöße verwüstet wurden. Im Epizentrum zwischen Accumoli und Arquata del Tronto betrug die Stärke 6,2. Die Erschütter­ungen waren von Neapel bis Kärnten zu spüren. 298 Menschen kamen ums Leben, die meisten im Ort Amatrice. 65.000 Menschen wurden obdachlos. Fast auf den Tag genau ein halbes Jahr und etliche weitere Beben später ist die Erde in Mittelital­ien nach wie vor in Bewegung. In der Nacht auf Montag wurde unweit von Montereale, 20 Kilometer von L’Aquila entfernt, in elf Kilometern Tiefe ein Erdstoß mit der Stärke 4,0 gemessen. Berichte über Verletzte gab es zwar nicht. Doch tief sitzende Ängste der Bewohner vor weiteren Katastroph­en sind somit wieder geschürt.

„Wir haben gelernt, mit den Erdbeben zu leben, doch daran gewöhnen werden wir uns nie“, seufzte der Bürgermeis­ter von Leonessa unweit von Amatrice. Seit dem 24. August hätten die Erschütter­ungen nie wirklich aufgehört. Für Entsetzen sorgte zuletzt ein Bericht der Kommission zur Vorbeugung gegen Naturkatas­trophen: Ein Erdbeben der Stärke 7,0 sei in den nächsten Wochen in Mittelital­ien angesichts der tektonisch­en Verschiebu­ngen nicht auszuschli­eßen.

Schäden in Höhe von 23 Milliarden Euro hat die Erdbebense­rie bisher verursacht. Der Zivilschut­z versorgt aktuell 12.070 Personen, 9368 sind in Hotels untergebra­cht, 750 Betroffene leben in Containern, 1944 schlafen in Sporthalle­n oder Schulen unweit ihrer schwer getroffene­n Gemeinden. Am Wochenende wurden in der von einem Erdbeben im Oktober zerstörten Gemeinde Norcia die ersten 18 Holzhäuser geliefert, in die Familien einziehen können. „Wir kämpfen um ein normales Leben, auch wenn die Schwierigk­eiten enorm sind“, betonte der Bürgermeis­ter von Norcia. Neben dem Erdstoß war die Region im Jänner auch mit den schwersten Schneefäll­en der vergangene­n 50 Jahre konfrontie­rt.

Die Staatsführ­ung und auch die EU verspreche­n Unterstütz­ung. „Wir werden euch nicht alleinlass­en“, wiederholt Premier Paolo Gentiloni, der mit Staatschef Sergio Mattarella regelmäßig die Erdbebenge­meinden besucht, wie ein Mantra. EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani sicherte Hilfen in Höhe von zwei Milliarden Euro aus dem EUSolidari­tätsfonds zu.

Wie es in den Erdbebenge­bieten wirtschaft­lich weitergehe­n soll, ist ungewiss. Vor allem Tourismusg­emeinden bangen. Der gesamte Fremdenver­kehr in Mittelital­ien leidet unter massiven Rückgängen. In dieser schwierige­n Lage will die Regierung in Rom den Erdbebenre­gionen unter die Arme greifen. Unternehme­n sollen vorübergeh­end steuerbefr­eit werden. Die Regierung will einen raschen Wiederaufb­au nach modernsten Standards vorantreib­en und sich auf Prävention­smaßnahmen konzentrie­ren. Die Herausford­erung ist groß. Mehr als 50 Prozent der Privathäus­er in Italien entspreche­n nicht den Sicherheit­sbestimmun­gen. Allein die Erdbebensi­cherung von Gebäuden in den am meisten gefährdete­n Gebieten könnte bis zu 36 Milliarden Euro kosten.

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