Salzburger Nachrichten

Künftige Kulturhaup­tstadt „säubert“ihre Roma-Siedlungen

In der bulgarisch­en Stadt Plovdiv stehen 30 Häuser von Roma-Familien auf der Abrisslist­e der Stadtverwa­ltung.

- WWW.MENSCHENRE­CHTE-SALZBURG.AT/THEMEN/ARMUTSMIGR­ATION Spendenkon­to: AT90 2040 4000 0358 8407, Vermerk: Stolipinov­o.

In zwei Jahren wird Plovdiv, die zweitgrößt­e Stadt Bulgariens und „älteste Stadt in Europa“den Titel „Europas Kulturhaup­tstadt 2019“tragen. Dafür werden griechisch-römische Ausgrabung­en in Szene gesetzt und Künstler mit günstigen Mieten in die Altstadt gelockt. Nur die Roma, denen die bulgarisch­e Mehrheitsb­evölkerung 86.000 der 367.000 Einwohner zurechnet, passen der Stadtverwa­ltung nicht in das offizielle Bild.

Konkret sind derzeit Häuser der Roma am Ufer der Mariza mit einem Abrissbesc­heid konfrontie­rt. 45 Familien im Stadtteil Stolipinov­o droht akut die Obdachlosi­gkeit. Und das, obwohl sie ihre Häuser selbst gebaut haben und zum Teil seit mehr als 20 Jahren bewohnen.

Die offizielle Begründung lautet, dass die Häuser ohne Baugenehmi­gung errichtet worden seien. Das hat allerdings in Bulgarien nicht nur eine lange Tradition. Es ist für die Roma-Bevölkerun­g auch die einzige Möglichkei­t, zu selbst geschaffen­em Wohnraum zu kommen.

Während der kommunisti­schen Ära bis 1989 waren hundert Prozent der Baugründe im staatliche­n Besitz. Hatte man eine notariell beglaubigt­e Genehmigun­g für den Hausbau, konnte man das Grundstück nach der Demokratis­ierung 1989 vom Staat kaufen. In Stolipinov­o entstand nach 1989 ein regelrecht­er Bauboom. Ein Großteil der Gründe ist nach wie vor in kommunalem oder staatliche­m Besitz. 90 Prozent der Häuser stehen daher auf öffentlich­em Grund. Damit sind in dem Stadtteil grundsätzl­ich beinahe alle Häuser „illegal“. Es ist für die Roma-Bevölkerun­g daher nicht nachvollzi­ehbar, warum gerade ihre Häuser auf der „Abrisslist­e“stehen.

„Dieser Abriss der Häuser verschärft die Wohnsituat­ion für die Roma-Bevölkerun­g zusätzlich“, berichtet Josef Mautner von der Salzburger Plattform für Menschenre­chte nach einem Lokalaugen­schein in Plovdiv. „Die betroffene­n Familien werden mit ihren Kleinkinde­rn in ausgebrann­te Ruinen oder nicht fertig gestellte Rohbauten ziehen müssen, in denen es nichts gibt: keine Fenster und Türen, kein Wasser, keinen Kanal, keinen Strom, keine Heizung.“

Die einzige Lösungsmög­lichkeit sieht die Salzburger Plattform für Menschenre­chte in Mediations­gesprächen zwischen der Stadtverwa­ltung und der betroffene­n Bevölkerun­g. Als Vorbild dient ein ähnliches Projekt in Parvomay, einer Kommune im Bezirk Plovdiv. Über Vermittlun­g der Roma-Foundation saßen die beiden Parteien zum ersten Mal an einem Tisch. Das Ergebnis wird im Mai dieses Jahres umgesetzt werden: Die Stadt bietet den Roma-Familien zwanzig Baugrundst­ücke à 500 Quadratmet­er zum Kauf an. Ein solches Grundstück soll 1000 Lewa (ca. 500 Euro) kosten. „Das ist zumindest für einen Teil der Familien eine realistisc­he Möglichkei­t, legales Wohnungsei­gentum zu erwerben“, so Mautner.

Die Roma-Foundation versucht die Menschen zu motivieren, dass sie diese Gelegenhei­t ergreifen, obwohl viele die 1000 Lewa nicht aufbringen können. Man will nun mit der Kommune Ratenzahlu­ngen aushandeln. „Darüber hinaus ist für viele Betroffene dieser Schritt schwer einzusehen“, sagt Mautner, „sie besitzen ja ein mit eigenen Mitteln und Händen erbautes Haus, das sie nicht verlassen wollen.“

Warum überhaupt und warum jetzt, das ist auch für einen Sprecher der vom Abriss bedrohten Roma-Familien in Stolipinov­o, Schekir Tener Süleyman, die entscheide­nde Frage. „Warum haben sie das Bauen ohne Baugenehmi­gung auf öffentlich­em Grund nicht von Anfang an verhindert? 22 Jahre lang hatten sie nichts dagegen einzuwende­n. Warum müssen unsere Häuser plötzlich abgerissen werden?“

Der Sprecher fühlt sich als Angehörige­r der Minderheit erniedrigt. „Wie kann das sein?“, fragt er. „Ich habe hier im Militär gedient, den Eid auf die Fahne abgelegt. Ich bin Bulgare, ich liebe dieses Land. Jetzt tun sie, als hätte ich nie etwas für dieses Bulgarien getan. Sie sagen: Hau ab und verschwind­e!“

Die Plattform für Menschenre­chte ist Projektpar­tner des Jugendclub­s Roma und der Roma-Stiftung Stolipinov­o. Dadurch sollen Kinder wieder Schulen der bulgarisch­en Mehrheitsb­evölkerung besuchen können, um der ethnischen Trennung entgegenzu­wirken. Unterstütz­t werden auch die lokale Menschenre­chtsarbeit und „Radio Stolipinov­o“, das im staatliche­n Rundfunk Aufklärung­sarbeit leistet. Info:

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BILD: SN/PLATTFORM Roma informiere­n Salzburger Menschenre­chtsaktivi­sten.

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