Künftige Kulturhauptstadt „säubert“ihre Roma-Siedlungen
In der bulgarischen Stadt Plovdiv stehen 30 Häuser von Roma-Familien auf der Abrissliste der Stadtverwaltung.
In zwei Jahren wird Plovdiv, die zweitgrößte Stadt Bulgariens und „älteste Stadt in Europa“den Titel „Europas Kulturhauptstadt 2019“tragen. Dafür werden griechisch-römische Ausgrabungen in Szene gesetzt und Künstler mit günstigen Mieten in die Altstadt gelockt. Nur die Roma, denen die bulgarische Mehrheitsbevölkerung 86.000 der 367.000 Einwohner zurechnet, passen der Stadtverwaltung nicht in das offizielle Bild.
Konkret sind derzeit Häuser der Roma am Ufer der Mariza mit einem Abrissbescheid konfrontiert. 45 Familien im Stadtteil Stolipinovo droht akut die Obdachlosigkeit. Und das, obwohl sie ihre Häuser selbst gebaut haben und zum Teil seit mehr als 20 Jahren bewohnen.
Die offizielle Begründung lautet, dass die Häuser ohne Baugenehmigung errichtet worden seien. Das hat allerdings in Bulgarien nicht nur eine lange Tradition. Es ist für die Roma-Bevölkerung auch die einzige Möglichkeit, zu selbst geschaffenem Wohnraum zu kommen.
Während der kommunistischen Ära bis 1989 waren hundert Prozent der Baugründe im staatlichen Besitz. Hatte man eine notariell beglaubigte Genehmigung für den Hausbau, konnte man das Grundstück nach der Demokratisierung 1989 vom Staat kaufen. In Stolipinovo entstand nach 1989 ein regelrechter Bauboom. Ein Großteil der Gründe ist nach wie vor in kommunalem oder staatlichem Besitz. 90 Prozent der Häuser stehen daher auf öffentlichem Grund. Damit sind in dem Stadtteil grundsätzlich beinahe alle Häuser „illegal“. Es ist für die Roma-Bevölkerung daher nicht nachvollziehbar, warum gerade ihre Häuser auf der „Abrissliste“stehen.
„Dieser Abriss der Häuser verschärft die Wohnsituation für die Roma-Bevölkerung zusätzlich“, berichtet Josef Mautner von der Salzburger Plattform für Menschenrechte nach einem Lokalaugenschein in Plovdiv. „Die betroffenen Familien werden mit ihren Kleinkindern in ausgebrannte Ruinen oder nicht fertig gestellte Rohbauten ziehen müssen, in denen es nichts gibt: keine Fenster und Türen, kein Wasser, keinen Kanal, keinen Strom, keine Heizung.“
Die einzige Lösungsmöglichkeit sieht die Salzburger Plattform für Menschenrechte in Mediationsgesprächen zwischen der Stadtverwaltung und der betroffenen Bevölkerung. Als Vorbild dient ein ähnliches Projekt in Parvomay, einer Kommune im Bezirk Plovdiv. Über Vermittlung der Roma-Foundation saßen die beiden Parteien zum ersten Mal an einem Tisch. Das Ergebnis wird im Mai dieses Jahres umgesetzt werden: Die Stadt bietet den Roma-Familien zwanzig Baugrundstücke à 500 Quadratmeter zum Kauf an. Ein solches Grundstück soll 1000 Lewa (ca. 500 Euro) kosten. „Das ist zumindest für einen Teil der Familien eine realistische Möglichkeit, legales Wohnungseigentum zu erwerben“, so Mautner.
Die Roma-Foundation versucht die Menschen zu motivieren, dass sie diese Gelegenheit ergreifen, obwohl viele die 1000 Lewa nicht aufbringen können. Man will nun mit der Kommune Ratenzahlungen aushandeln. „Darüber hinaus ist für viele Betroffene dieser Schritt schwer einzusehen“, sagt Mautner, „sie besitzen ja ein mit eigenen Mitteln und Händen erbautes Haus, das sie nicht verlassen wollen.“
Warum überhaupt und warum jetzt, das ist auch für einen Sprecher der vom Abriss bedrohten Roma-Familien in Stolipinovo, Schekir Tener Süleyman, die entscheidende Frage. „Warum haben sie das Bauen ohne Baugenehmigung auf öffentlichem Grund nicht von Anfang an verhindert? 22 Jahre lang hatten sie nichts dagegen einzuwenden. Warum müssen unsere Häuser plötzlich abgerissen werden?“
Der Sprecher fühlt sich als Angehöriger der Minderheit erniedrigt. „Wie kann das sein?“, fragt er. „Ich habe hier im Militär gedient, den Eid auf die Fahne abgelegt. Ich bin Bulgare, ich liebe dieses Land. Jetzt tun sie, als hätte ich nie etwas für dieses Bulgarien getan. Sie sagen: Hau ab und verschwinde!“
Die Plattform für Menschenrechte ist Projektpartner des Jugendclubs Roma und der Roma-Stiftung Stolipinovo. Dadurch sollen Kinder wieder Schulen der bulgarischen Mehrheitsbevölkerung besuchen können, um der ethnischen Trennung entgegenzuwirken. Unterstützt werden auch die lokale Menschenrechtsarbeit und „Radio Stolipinovo“, das im staatlichen Rundfunk Aufklärungsarbeit leistet. Info: