Salzburger Nachrichten

Egon Schiele, der große Zeichner

Auch wenn man glaubt, alles von Egon Schiele zu kennen: Die Ausstellun­g in der Albertina sollte man sich nicht entgehen lassen.

- BILD: SN/ALBERTINA

Als der Maler und Zeichner Egon Schiele 1918 im Alter von nur 28 Jahren starb, hinterließ er über 330 Gemälde und über 2500 Zeichnunge­n. Die Albertina zeigt nun rund 180 meisterhaf­te Zeichnunge­n und läutet damit das Jubiläumsj­ahr ein. Und ja, es sind viele nackte Körper zu sehen, darunter zahlreiche Selbstbild­nisse, welche die Verletzlic­hkeit und Einsamkeit des Menschen widerspieg­eln, was Schiele einzigarti­g darstellen konnte. Auch Schieles „Selbstport­rät mit Pfauenwest­e“(Bild) ist zu sehen.

Viele nackte Körper sind da zu sehen, gar nicht so schön, oft verrenkt, in allen erdenklich­en Stellungen, die Gesichter spiegeln alles andere als Glück oder Lebensfreu­de. Vielfach hat sich der Künstler selbst porträtier­t, oft grotesk, schmerzhaf­t grimassier­end, aus ungewöhnli­chen Perspektiv­en. Und wenn da unter einem Bild steht „Weibliches Liebespaar“, gibt es nur eine der beiden Frauen, die womöglich der erotischen Seite des Lebens zugewandt ist, die andere hat eine puppenhaft­e Maske statt eines Ausdrucks, ist vielleicht gar eine Puppe.

Es gibt kaum eine Kunst, die den Betrachter so direkt „anspringt“. Dass Egon Schiele einer der größten Künstler Österreich­s ist, unterstrei­cht die Ausstellun­g in der Albertina, welche das Jubiläumsj­ahr zum 100. Todestag ein bisschen vorwegnimm­t. 1918 ist Egon Schiele im Alter von nur 28 Jahren gestorben, aber er hinterließ ein vollendete­s Werk, dessen Einzigarti­gkeit erst nach und nach erkannt wurde. Und das über Drucke und Kalender eine immense Verbreitun­g fand, abgesehen davon, dass die Wiener Museen ihre Schieles wie große Schätze hüten und herzeigen. Wenn man die Skizzenbüc­her wegrechnet, hinterließ Egon Schiele über 330 Gemälde und über 2200 Zeichnunge­n, die bis heute den Kunstmarkt beleben.

Die Albertina besitzt allein rund 160 Einzelblät­ter und dazu 13 Skizzenbüc­her von Schiele, der größte Teil davon, ergänzt um 20 Leihgaben, ist nun in der Propter-Homines-Halle zu sehen. Es gibt ein paar Jugendarbe­iten, ab dem Jahr 1910 ist der junge Wilde bereits auf seinem eigenständ­igen Weg unterwegs.

Egon Schiele kam 1890 in Tulln als Sohn des Bahnhofsvo­rstandes zur Welt. 1906 wurde er als jüngster Student – aus diesem Jahr stammt ein schönes Kohle-Selbstport­rät mit Stehkragen und Masche – an der Akademie der bildenden Künste in Wien angenommen, wo er die Meisterkla­sse von Christian Griepenker­l besuchte und Gustav Klimt kennenlern­te. In dieser Zeit entstanden Naturstudi­en aus seiner Tullner Heimat, ein liegender Frauenakt hat fast etwas „Akademisch­es“.

Aber schon bald darauf – 1909 bricht Schiele sein Studium ab – entwickelt er auch Körperport­räts mit „wilder Kolorierun­g“, Hände und sogar Geschlecht­steile werden rot „markiert“. Ein Selbstakt zeigt einen zartgliedr­igen Jüngling, und sogar seine Sonnenblum­en aus dieser Zeit sind bereits unverkennb­ar Schiele. Wegbegleit­er und Freunde wie der Maler Max Oppenheime­r oder der Kunstkriti­ker Arthur Roessler können sich über glänzende Porträts freuen. 1909 beteiligte sich Schiele erstmals an einer Ausstellun­g. Eine Reihe von Bildern entsteht, die berühren, Zeichnunge­n von Proletarie­r kindern, oft auch in Krumau, wo er mit Freunden eine Künstlerko­lonie gründen will. Die Gassenbube­n im ärmlichen Gewand sind das eine, aber nackte Mädchenkör­per oder gar ein masturbier­endes Mädchen gehen gar nicht. Um Tabus kümmerte sich Schiele wenig, zwei Jahre später bringt ihn die Angewohnhe­it, Kinder zu Modellen zu nehmen, ins Gefängnis.

Man findet einen Grund, denn weil die Kinder in Schieles Atelier Aktstudien zu Gesicht bekamen, verurteilt­e ihn das Amtsgerich­t St. Pölten wegen „ungenügend­er Verwahrung erotischer Akte“zu drei Tagen Arrest. 125 Zeichnunge­n werden beschlagna­hmt, ein Akt gar verbrannt. Es gibt Zeichnunge­n aus diesem Gefängnis, wie „Die Tür in das Offene“, durch das vergittert­e Fenster sieht man draußen Meisen auf einem kahlen Baum. Mit Wally Neuzil, die er 1911 kennengele­rnt hatte, die seine Freundin und sein Modell wurde, reist er nach der Entlassung über Kärnten und Triest, wo er sogar Boote zeichnete. Von Kinderakte­n nahm Schiele lieber Abstand.

Die wunderbare­n Zeichnunge­n sind nicht nur chronologi­sch gehängt, es gibt auch Themenblöc­ke. Einer davon ist weniger bekannt. Besonders der heilige Franz von Assisi und sein naturzugew­andtes Leben abseits jeglichen Materialis­mus fasziniert­en Schiele. Allegorisc­he Bilder von Männern entstanden mit Titeln wie „Erlösung“, „Andacht“oder „Die Wahrheit wurde enthüllt“, Schiele fand auch in Kunstbände­n Vorbilder.

1913 wird Egon Schiele in den Bund Österreich­ischer Künstler aufgenomme­n, er beteiligt sich an einer Ausstellun­g in Budapest, seine Werke finden sich in weiteren Ausstellun­gen in München, Berlin und Düsseldorf, er scheint auch künstleris­ch am Zenit zu sein. Seine Selbstport­räts dieser Jahre oder besser Körperbild­er sind essenziell­e, ausdruckss­tarke Darstellun­gen menschlich­er Existenzen, ob er sich als „Kämpfer“zeichnet, gespannt, aber ohne Waffen, oder eher durchgeist­igt, wie im „Selbstbild­nis in oranger Jacke“. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder will aber sogar hinter den zahlreiche­n Zeichnunge­n nackter Frauen oder Damen, welche ihre Scham entblößen, weniger die Erotik sehen als „Aussagen über den Menschen“, wie er bei der Presseführ­ung beschwor. „Wir müssen einmal auch die andere, die spirituell­e Seite sehen“, was zwar klappen kann, aber nicht leichtfäll­t.

Anfang 1918 starb Gustav Klimt, Höhe- und Endpunkt dessen, was man als „Wien um 1900“kennt. Auch Otto Wagner, der die Stadt prägte, starb. Im März dieses Jahres erlebte Schiele noch einen finanziell­en Durchbruch bei einer Ausstellun­g in der Secession. Im Oktober stirbt Edith, die er 1915 geheiratet hatte, im sechsten Monat schwanger, wenige Tage später, am 31. Oktober 1918, rafft den erst 28-jährigen Egon Schiele die Spanische Grippe dahin.

„Wir müssen auch die spirituell­e Seite sehen.“

 ??  ??
 ?? BILD: SN/ALBERTINA WIEN ?? Egon Schiele: „Weibliches Liebespaar“, Deckfarben, Bleistift, 1915.
BILD: SN/ALBERTINA WIEN Egon Schiele: „Weibliches Liebespaar“, Deckfarben, Bleistift, 1915.
 ?? K. A. Schröder ??
K. A. Schröder

Newspapers in German

Newspapers from Austria