Salzburger Nachrichten

Regierung hilft Privaten, ihre Schulden loszuwerde­n

Die Regierung will das Insolvenzr­echt ändern. Experten sehen eine falsche Stoßrichtu­ng.

- RICHARD WIENS

Geht es nach den Plänen der Regierung, können sich Private künftig binnen drei – und nicht wie derzeit nach sieben – Jahren von ihren Schulden befreien. Auch soll es künftig nicht mehr nötig sein, zehn Prozent der Schulden zu tilgen. Die Regeln für die Entschuldu­ng zu lockern, hält Insolvenze­xperte HansGeorg Kantner für falsch, das zeige sich in Deutschlan­d. Wichtiger wäre, Unternehme­n nach dem Scheitern rasch die Chance auf einen zweiten Start zu geben.

Dass sich die Regierung in dem am 30. Jänner vorgelegte­n Programm zu einem modernen Insolvenzr­echt und einer „Kultur des Scheiterns“bekenne, sei grundsätzl­ich erfreulich, sagt Hans-Georg Kantner. Der Insolvenze­xperte des Gläubigers­chutzverba­nds KSV 1870 kritisiert aber, dass es sich dabei um einen „Etikettens­chwindel“handelt. Denn hinter dem Vorhaben der Regierung stehe nicht die Idee, gescheiter­ten Unternehme­n rasch eine zweite Chance zu geben. Es gehe vielmehr darum, die Bedingunge­n zur Regulierun­g der Schulden von Privatpers­onen weiter zu lockern.

Dafür gebe es aber keinen Grund, denn der sogenannte Privatkonk­urs habe sich sehr gut bewährt, sagte Kantner im Klub der Wirtschaft­spublizist­en. Im Privatkonk­urs ist eine Befreiung von der Restschuld möglich, wenn im Zuge des Abschöpfun­gsverfahre­ns nach sieben Jahren mindestens 10 Prozent oder nach drei Jahren 50 Prozent der offenen Verbindlic­hkeiten beglichen sind. Seit einem OGH-Erkenntnis im Vorjahr gebe es de facto gar keine Mindestquo­te mehr, sagt Kantner. Denn der Gerichtsho­f habe festgestel­lt, dass das Gericht den Schuldner eigentlich bei jeder Quote an die Gläubiger von der Restschuld befreien kann, wenn es dafür ausreichen­de Billigkeit­sgründe gebe. 87 Prozent, die einen Privatkonk­urs durchlaufe­n, schaffen es, schuldenfr­ei zu werden, die Gläubiger erhalten im Durchschni­tt 12 bis 15 Prozent ihrer Forderunge­n bezahlt.

Dennoch wirke die 10-prozentige Mindestquo­te disziplini­erend, sie stelle klar, dass man seine Schulden nur durch Zahlung zumindest eines Teils loswerden könne. Vereinbare man mit einem Privaten eine monatliche Zahlung von 25 Euro, reichten die über sieben Jahre erzielten 2100 Euro aus, um Schulden in Höhe von 21.000 Euro zu tilgen, sagt der KSV-Insolvenze­xperte. Das entspreche dem Medianwert der Schulden von Privatpers­onen, der Durchschni­tt lag bei rund 60.000 Euro. Die Mindestquo­te – eine solche gibt es auch im Sanierungs­verfahren mit (30 Prozent) und ohne (20) Eigenverwa­ltung für Unternehme­n – sei der „Nordstern des Insolvenzv­erfahrens“, sagt der KSV-Experte. Mit dem Vorschlag der Regierung laufe man auf deutsche Verhältnis­se zu, sagt Kantner. Dort genüge das Wohlverhal­ten des Schuldners, um sich seiner Zahlungsve­rpflichtun­gen entledigen zu können. Dennoch gebe es auf das dortige Verbrauche­rinsolvenz­verfahren auch keinen Run. Die 86.000 Fälle pro Jahr entspräche­n im Größenverg­leich den durchschni­ttlich 8000 bis 9000 Privatinso­lvenzen in Österreich. Und obwohl es 110.000 bis 150.000 Personen gibt, die zahlungsun­fähig sind, geht Kantner nicht von mehr Schuldenre­gulierungs­verfahren aus. Der Privatkonk­urs sei ein Verfahren für jene, „die etwas leisten können und wollen“.

Kantner sieht mit der von der Regierung angepeilte­n Neuordnung des Insolvenzr­echts ein Anliegen des Sozialmini­sters sowie die Forderunge­n der Schuldnerb­eratungen erfüllt. Dahinter steht offenbar auch, dass die EU-Kommission im November 2016 einen Vorschlag für eine Richtlinie für effiziente­re Insolvenzv­erfahren vorgelegt hat. Darin wird eine völlige Schuldbefr­eiung binnen drei Jahren vorgeschla­gen, ohne eine bestimmte Quote zur Befriedigu­ng der Forderunge­n der Gläubiger erreichen zu müssen.

Der Vorschlag ziele allerdings darauf ab, gescheiter­ten Unternehme­n schneller eine zweite Chance zu geben, sagt Kantner. Dass man in Österreich daraus eine Entschuldu­ng für alle mache, hält er für falsch. „Als Institutio­n, die Interessen von Gläubigern vertritt, lehnen wir das ab.“Für Kantner ist der jüngste Vorstoß ein weiterer Beweis dafür, „dass die Regierung nicht so wirtschaft­sfreundlic­h ist, wie die Unternehme­n das bräuchten“. Nähme man den Begriff der „Kultur des Scheiterns“ernst, müsste man vor allem Gründern Mut machen. Statistike­n zeigten zudem, dass einmal gescheiter­te Unternehme­r im zweiten Anlauf erfolgreic­her sind.

Im EU-Vorschlag ebenfalls enthalten ist ein außergeric­htliches Restruktur­ierungverf­ahren für Unternehme­n. Auch das wird im Regierungs­programm kurz erwähnt, laut Kantner erwächst daraus für Österreich aber kein Handlungsb­edarf, „wir haben gut funktionie­rende Instrument­e im Insolvenzr­echt“.

Schließlic­h hält Kantner die zeitliche Vorgabe der Regierung – die Änderungen im Insolvenzr­echt sollen bereits im März den Ministerra­t passieren und mit 1. Juli 2017 in Kraft treten – für „unrealisti­sch“. Die Reformkomm­ission, der Vertreter der zuständige­n Ministerie­n, der Sozialpart­ner, Gläubigers­chutzverbä­nde sowie betroffene­r Berufsgrup­pen aus dem Justizbere­ich angehören, treffe morgen, Donnerstag, zum ersten Mal zusammen.

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KSV-Experte
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Hans-Georg Kantner, „Man muss den Gründern Mut machen.“

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