Regierung hilft Privaten, ihre Schulden loszuwerden
Die Regierung will das Insolvenzrecht ändern. Experten sehen eine falsche Stoßrichtung.
Geht es nach den Plänen der Regierung, können sich Private künftig binnen drei – und nicht wie derzeit nach sieben – Jahren von ihren Schulden befreien. Auch soll es künftig nicht mehr nötig sein, zehn Prozent der Schulden zu tilgen. Die Regeln für die Entschuldung zu lockern, hält Insolvenzexperte HansGeorg Kantner für falsch, das zeige sich in Deutschland. Wichtiger wäre, Unternehmen nach dem Scheitern rasch die Chance auf einen zweiten Start zu geben.
Dass sich die Regierung in dem am 30. Jänner vorgelegten Programm zu einem modernen Insolvenzrecht und einer „Kultur des Scheiterns“bekenne, sei grundsätzlich erfreulich, sagt Hans-Georg Kantner. Der Insolvenzexperte des Gläubigerschutzverbands KSV 1870 kritisiert aber, dass es sich dabei um einen „Etikettenschwindel“handelt. Denn hinter dem Vorhaben der Regierung stehe nicht die Idee, gescheiterten Unternehmen rasch eine zweite Chance zu geben. Es gehe vielmehr darum, die Bedingungen zur Regulierung der Schulden von Privatpersonen weiter zu lockern.
Dafür gebe es aber keinen Grund, denn der sogenannte Privatkonkurs habe sich sehr gut bewährt, sagte Kantner im Klub der Wirtschaftspublizisten. Im Privatkonkurs ist eine Befreiung von der Restschuld möglich, wenn im Zuge des Abschöpfungsverfahrens nach sieben Jahren mindestens 10 Prozent oder nach drei Jahren 50 Prozent der offenen Verbindlichkeiten beglichen sind. Seit einem OGH-Erkenntnis im Vorjahr gebe es de facto gar keine Mindestquote mehr, sagt Kantner. Denn der Gerichtshof habe festgestellt, dass das Gericht den Schuldner eigentlich bei jeder Quote an die Gläubiger von der Restschuld befreien kann, wenn es dafür ausreichende Billigkeitsgründe gebe. 87 Prozent, die einen Privatkonkurs durchlaufen, schaffen es, schuldenfrei zu werden, die Gläubiger erhalten im Durchschnitt 12 bis 15 Prozent ihrer Forderungen bezahlt.
Dennoch wirke die 10-prozentige Mindestquote disziplinierend, sie stelle klar, dass man seine Schulden nur durch Zahlung zumindest eines Teils loswerden könne. Vereinbare man mit einem Privaten eine monatliche Zahlung von 25 Euro, reichten die über sieben Jahre erzielten 2100 Euro aus, um Schulden in Höhe von 21.000 Euro zu tilgen, sagt der KSV-Insolvenzexperte. Das entspreche dem Medianwert der Schulden von Privatpersonen, der Durchschnitt lag bei rund 60.000 Euro. Die Mindestquote – eine solche gibt es auch im Sanierungsverfahren mit (30 Prozent) und ohne (20) Eigenverwaltung für Unternehmen – sei der „Nordstern des Insolvenzverfahrens“, sagt der KSV-Experte. Mit dem Vorschlag der Regierung laufe man auf deutsche Verhältnisse zu, sagt Kantner. Dort genüge das Wohlverhalten des Schuldners, um sich seiner Zahlungsverpflichtungen entledigen zu können. Dennoch gebe es auf das dortige Verbraucherinsolvenzverfahren auch keinen Run. Die 86.000 Fälle pro Jahr entsprächen im Größenvergleich den durchschnittlich 8000 bis 9000 Privatinsolvenzen in Österreich. Und obwohl es 110.000 bis 150.000 Personen gibt, die zahlungsunfähig sind, geht Kantner nicht von mehr Schuldenregulierungsverfahren aus. Der Privatkonkurs sei ein Verfahren für jene, „die etwas leisten können und wollen“.
Kantner sieht mit der von der Regierung angepeilten Neuordnung des Insolvenzrechts ein Anliegen des Sozialministers sowie die Forderungen der Schuldnerberatungen erfüllt. Dahinter steht offenbar auch, dass die EU-Kommission im November 2016 einen Vorschlag für eine Richtlinie für effizientere Insolvenzverfahren vorgelegt hat. Darin wird eine völlige Schuldbefreiung binnen drei Jahren vorgeschlagen, ohne eine bestimmte Quote zur Befriedigung der Forderungen der Gläubiger erreichen zu müssen.
Der Vorschlag ziele allerdings darauf ab, gescheiterten Unternehmen schneller eine zweite Chance zu geben, sagt Kantner. Dass man in Österreich daraus eine Entschuldung für alle mache, hält er für falsch. „Als Institution, die Interessen von Gläubigern vertritt, lehnen wir das ab.“Für Kantner ist der jüngste Vorstoß ein weiterer Beweis dafür, „dass die Regierung nicht so wirtschaftsfreundlich ist, wie die Unternehmen das bräuchten“. Nähme man den Begriff der „Kultur des Scheiterns“ernst, müsste man vor allem Gründern Mut machen. Statistiken zeigten zudem, dass einmal gescheiterte Unternehmer im zweiten Anlauf erfolgreicher sind.
Im EU-Vorschlag ebenfalls enthalten ist ein außergerichtliches Restrukturierungverfahren für Unternehmen. Auch das wird im Regierungsprogramm kurz erwähnt, laut Kantner erwächst daraus für Österreich aber kein Handlungsbedarf, „wir haben gut funktionierende Instrumente im Insolvenzrecht“.
Schließlich hält Kantner die zeitliche Vorgabe der Regierung – die Änderungen im Insolvenzrecht sollen bereits im März den Ministerrat passieren und mit 1. Juli 2017 in Kraft treten – für „unrealistisch“. Die Reformkommission, der Vertreter der zuständigen Ministerien, der Sozialpartner, Gläubigerschutzverbände sowie betroffener Berufsgruppen aus dem Justizbereich angehören, treffe morgen, Donnerstag, zum ersten Mal zusammen.