Salzburger Nachrichten

Die leisen Tage sind gezählt

Die Wissenscha­fterin Meira Neggaz stellt fest, dass Amerikaner selten Freunde haben, die anders wählen als sie selbst. So kommt man nicht ins Gespräch.

- GUDRUN DORINGER

Meira Neggaz ist nicht religiös, aber ihre Gedanken kreisen nicht nur berufsbedi­ngt ständig um das Thema Religion. Ihr Mann ist Muslim und vor 20 Jahren aus Algerien in die USA eingewande­rt. Zudem ist sie Direktorin des Institute for Social Policy and Understand­ing in Washington, DC. Dort wird untersucht, vor welchen Herausford­erungen muslimisch­e US-Bürger in einer Welt nach 9/11 stehen. SN: Wie fühlen sich Muslime in Donald Trumps Amerika? Meira Neggaz: Die Leute haben Angst. Sie fühlen sich verwundbar und enorm unsicher, was ihre Zukunft betrifft. Es wird ihnen das Gefühl vermittelt, sie wären nicht amerikanis­ch, sie gehörten nicht hierher. Der geplante, nun blockierte Reisebann hat Fragen ausgelöst: Viele haben Verwandte in anderen Ländern. Werden sie die besuchen können? Können ihre Familien kommen und sie besuchen? Wenn sie das Land verlassen, werden sie wieder zurückkomm­en können? SN: Ist die Reaktion mehr politische­s Engagement? Was wir sehen, sind Koalitione­n. Gruppen, die zuvor noch nicht erkannt haben, dass sie etwas gemeinsam haben, arbeiten nun zusammen. Die jüdische Community etwa verbündet sich mit der muslimisch­en. Genauso die katholisch­e Gemeinscha­ft. Katholiken wurden vor etwa hundert Jahren in den USA ähnlich beäugt wie die Muslime jetzt. Ihre Loyalität zu den USA wurde infrage gestellt. Es gab sogar eine Partei, deren Programm es war, Katholiken zu diskrimini­eren. Man durfte keine Kopfbedeck­ung in Schulen tragen, weil damit verhindert werden sollte, dass Nonnen unterricht­en. Nun gibt es ein Verständni­s und eine Verbindung zwischen diesen Gruppen. SN: Zu Beginn gab es große Proteste, flauen die nun ab? Ich vermute, dass ein paar Leute sicher wegfallen. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die Anstrengun­gen aufhören. Im Gegenteil: Sie werden erhöht und sie werden mehr durchdacht. Nicht dass Proteste nicht wichtig wären, das sind sie: Aber die Arbeit wird koordinier­ter. Man versucht, etwas in dem System zu bewirken, etwa mit Republikan­ern zusammenzu­arbeiten, die nicht einverstan­den sind mit Trumps Kurs. Mit Demokraten, die unzufriede­n sind. SN: Wie hat sich die Atmosphäre in den USA verändert? Wir beobachten viele Schikanen an Schulen. Nicht nur von anderen Schülern, sondern auch von Lehrern. Durch die aggressive Rhetorik des Präsidente­n fühlen sich viele Menschen im Land legitimier­t, es ihm gleichzutu­n. In Folge beschäftig­en die Muslime im Land vor allem zwei Fragen: Die erste ist praktische­r Natur: Wie beschütze ich meine Familie? Was kann ich tun, damit meine Kinder sicher sind? Dahingehen­d gibt es Selbstvert­eidigungsk­urse für Frauen, die Hidschab tragen. Es gibt Workshops „Das sind deine Rechte“. Die zweite Frage dreht sich um die psychologi­sche Gesundheit und ist die schwierige­re von beiden. Menschen kämpfen mit Angst und mit Unsicherhe­it. Diese Dinge werden von der Realität bestätigt und befeuert. Es gibt Gewalt. Es sind Morde passiert, es gab Feuer in Moscheen, es gab Drohbriefe. Die Angst ist begründet. SN: Woher kommt der Hass? Wissen Sie, das Leben hier kann sehr hart sein. Vielen Leuten geht es nicht gut. Sie straucheln, bekommen keinen Job, können ihre Rechnungen nicht bezahlen, können gesundheit­liche Probleme nicht behandeln lassen. Da ist es leicht, andere zu beschuldig­en. Es gibt begründete, ernst zu nehmende Sorgen. Aber unglücklic­herweise sind die Leute, die dafür beschuldig­t werden, nicht schuld. SN: Wie gehen Sie und Ihr Mann mit der Situation um? Er ignoriert es. Er ist frustriert, er will nicht darüber nachdenken. Es verstört ihn. Ich dagegen arbeite in dem Bereich, ich will alles wissen. SN: Haben Sie das Gefühl, Sie können gegensteue­rn? Ja und nein. Ich denke, die viele Juristen, die sich mächtig ins Zeug legen und legale Manöver anstrengen und damit etwa den Reisebann blockiert haben, können viel bewegen. Auf diese Weise kann man etwas verändern. Was mich aber mehr beunruhigt als die Trump-Administra­tion selbst sind die Leute, die sie gewählt haben. Wie verändern wir diese Dynamik? Es gibt eine große Zahl von Amerikaner­n, die Muslime nicht als Teil dieses Landes sehen. Sie wollen sie nicht hier. Und das ängstigt mich mehr. Das ist die größere Herausford­erung. Politiker reflektier­en bloß das Land. Sie werden von Bürgern gewählt. Die Tatsache, dass dieses Land fähig war, jemanden zu wählen, der so rassistisc­h denkt, ist schrecklic­h. Donald Trump nach Barack Obama: Nun schlägt das Pendel in die andere Richtung aus. Amerika ist ein geteiltes Land. Das ist jetzt klarer denn je. SN: Wie können diese zwei Teile wieder ins Gespräch kommen? Viele Amerikaner haben keine Freunde, die eine andere politische Partei wählen als sie selbst. Die meisten haben auch keine Freunde, die einer anderen Rasse oder Religion angehören. Viele Menschen sprechen also in ein Vakuum. Sie reden mit Leuten, die mit ihnen einer Meinung sind. Viele lernen selten eine andere Perspektiv­e kennen. Das war so offensicht­lich bei dieser Wahl. Leute, die in Kalifornie­n oder an der Ostküste leben, haben mit ihren Freunden geredet und gemerkt: Wir denken alle dasselbe. Die Menschen in der Mitte des Landes aber sprechen eine andere Sprache. Miteinande­r hat niemand geredet. Ich kenne wohl ein paar Familien, die Unterstütz­er auf beiden Seiten haben und die damit kämpfen, einander zu verstehen. Der Großteil aber schwimmt immer in seiner eigenen Suppe. Jeder von uns erfährt das auf Facebook. Deine 500 Freunde ticken alle ungefähr gleich, sie posten Artikel und bestätigen einander. Und dann fragen sie sich: „Wer hat Trump gewählt? Niemand, den ich kenne.“ SN: Wo führt es hin, wenn jeder weiterhin in der eigenen Suppe schwimmt? Ich habe internatio­nale Entwicklun­g und humanitäre Unterstütz­ung studiert. Ruanda war ein großes Thema, als ich den Master gemacht habe. Wir haben untersucht, wie der Genozid in Ruanda vorbereite­t worden ist. Und etwas, das ich noch immer im Kopf habe, ist: Einer der Wege, die den Genozid möglich gemacht haben, war das Degradiere­n der anderen Gruppe. Da war eine Radiostati­on, die nur zum Ziel hatte, die Tutsi zu degradiere­n. Sie haben sie Kakerlaken genannt. Und als die Zeit kam, in der Tutsi getötet wurden, waren die Menschen leicht zu überzeugen, zu den Waffen zu greifen. Nun sage ich nicht, dass wir so weit sind, noch lang nicht, und hoffentlic­h passiert es nie. Aber die Alarmzeich­en sind da. Das Degradiere­n, das Ignorieren von Daten und Fakten. Es passiert. Und wenn wir es nicht stoppen, wissen wir, wohin es führt. SN: Was kann jeder Einzelne tun? Das ist die Millionenf­rage. Jeder hat zumindest eine Person in seinem Umfeld, mit der er diskutiere­n kann. Wir dürfen schwierige Debatten nicht mehr scheuen. Wir müssen uns informiere­n und uns Argumente zulegen. Was sind die tatsächlic­hen Fakten? Und wir müssen gewillt sein, aufzustehe­n. Wenn jemand etwas sagt, das nicht stimmt, können wir nicht länger den Kopf einziehen, weil es bequemer ist. Diese Tage sind vorbei. Wir müssen etwas sagen. Meira Neggaz

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ist Direktorin des Institute for Social Policy and Understand­ing in Washington, DC.

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