Diktaturen, wohin immer man schaut
Anna Kim lässt im Roman „Die große Heimkehr“ihren Protagonisten durch die koreanische Zeitgeschichte taumeln.
Einer redet sich sein Leben vom Leibe. Jahrzehnte hat er gebraucht, sich jemandem zu öffnen, und dann findet er kein Halten mehr. Tag für Tag erzählt er einer Frau, wie er unter dem Zwang der politischen Umstände in der Mitte des vorigen Jahrhunderts von Korea ins japanische Exil gezwungen wurde. Gerade weil er sie nicht kennt, muss er sich nicht verbergen. Es drängt ihn, seine Geschichte loszuwerden, die eng mit der rauen Geschichte Koreas verbunden ist.
Leicht fällt es Anna Kim, die im Alter von zwei Jahren von Südkorea nach Deutschland und später nach Wien gekommen ist, wo sie heute lebt, in ihrem Roman „Die große Heimkehr“nicht, persönliche und politische Geschichte unter einen Hut zu bringen. Sie darf ja nicht voraussetzen, dass wir mit der Entwicklung Koreas im 20. Jahrhundert vertraut sind. Also liefert sie das Faktenmaterial der komplexen Zusammenhänge, die zu groß sind für ein einzelnes Leben, auf das sowieso nie Rücksicht genommen wird, gleich mit.
Wenn Yunho erzählt, betreibt er notwendigen Geschichtsunterricht, um dann auf dieser Basis die Ereignisse abrollen zu lassen, die seine Biografie so gewaltig verunstalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet die japanische Kolonie unter russischen und amerikanischen Einfluss, was zur Teilung des Landes führte. In beiden Teilen übernahmen Diktatoren die Macht, Kim Ilsung im Norden, Syngman Rhe im Süden. Nach Beendigung der Kampfhandlungen standen die beiden Regierungen einander nur umso erbitterter feindselig gegenüber. Zwei Diktaturen, von Demokratie weit und breit nichts zu sehen. Mittendrin Yunho, der im südlichen Teil lebt und gegen seinen Willen zum politischen Akteur wird. Anders geht es nicht unter einem repressiven Regime. Kollaborateur oder Gegner, Lebensgefahr besteht in jedem Fall – auch noch im Exil in Japan, wohin er die Konflikte mitgenommen hat.
Anna Kim lässt Yunho durch die Zeitgeschichte taumeln. Er wird zu einem kleinen Rädchen in einem politischen Spiel, das er nicht durchschaut. Schon beginnt der Roman zu zerflattern. Und so bekommt Kim ein Verpackungsproblem. Fluchtgeschichte und Agentenkrimi, Familiendrama und Verratsszenario, die persönliche Verunsicherung und die politische Wetterlage, alles drängt ins Buch. Das führt zu internen Rangeleien. Das tut dem Roman nicht gut, zumal er sich mit Problemhopping zufriedengibt. Stets wissen wir, dass es um die ganz wichtigen Dinge geht, die dann doch nur halb auserzählt werden, weil am anderen Ende schon wieder etwas brennt.
Etwas schafft der Roman aber ausgezeichnet. Er lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass unsere Demokratie mit Blut geschrieben ist. Das vergessen wir gern, sonst würden wir uns der grassierenden Politikmüdigkeit schämen. Hier aber sehen wir Leute, die ihr Leben aufs Spiel setzen, weil sie sich gegen den Hochmut faschistoider Systeme stemmen. Schade nur, dass sich Kim den Stoff über den Kopf hat wachsen lassen. So steht der Roman mit dem Anspruch der Vollständigkeit vor uns, ist aber übersteuert. Dass sie gut ist, zeigt Anna Kim in einzelnen Szenen, dass der Roman nicht ganz gut ist, zeigt der Blick auf das Ganze.