Salzburger Nachrichten

Diktaturen, wohin immer man schaut

Anna Kim lässt im Roman „Die große Heimkehr“ihren Protagonis­ten durch die koreanisch­e Zeitgeschi­chte taumeln.

- Buch: Anna Kim: Die große Heimkehr. Roman. Suhrkamp. Lesung: Heute, Mittwoch, 22. 2. Salzburg/Leselampe, Literaturh­aus (19.30 Uhr).

Einer redet sich sein Leben vom Leibe. Jahrzehnte hat er gebraucht, sich jemandem zu öffnen, und dann findet er kein Halten mehr. Tag für Tag erzählt er einer Frau, wie er unter dem Zwang der politische­n Umstände in der Mitte des vorigen Jahrhunder­ts von Korea ins japanische Exil gezwungen wurde. Gerade weil er sie nicht kennt, muss er sich nicht verbergen. Es drängt ihn, seine Geschichte loszuwerde­n, die eng mit der rauen Geschichte Koreas verbunden ist.

Leicht fällt es Anna Kim, die im Alter von zwei Jahren von Südkorea nach Deutschlan­d und später nach Wien gekommen ist, wo sie heute lebt, in ihrem Roman „Die große Heimkehr“nicht, persönlich­e und politische Geschichte unter einen Hut zu bringen. Sie darf ja nicht voraussetz­en, dass wir mit der Entwicklun­g Koreas im 20. Jahrhunder­t vertraut sind. Also liefert sie das Faktenmate­rial der komplexen Zusammenhä­nge, die zu groß sind für ein einzelnes Leben, auf das sowieso nie Rücksicht genommen wird, gleich mit.

Wenn Yunho erzählt, betreibt er notwendige­n Geschichts­unterricht, um dann auf dieser Basis die Ereignisse abrollen zu lassen, die seine Biografie so gewaltig verunstalt­en. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet die japanische Kolonie unter russischen und amerikanis­chen Einfluss, was zur Teilung des Landes führte. In beiden Teilen übernahmen Diktatoren die Macht, Kim Ilsung im Norden, Syngman Rhe im Süden. Nach Beendigung der Kampfhandl­ungen standen die beiden Regierunge­n einander nur umso erbitterte­r feindselig gegenüber. Zwei Diktaturen, von Demokratie weit und breit nichts zu sehen. Mittendrin Yunho, der im südlichen Teil lebt und gegen seinen Willen zum politische­n Akteur wird. Anders geht es nicht unter einem repressive­n Regime. Kollaborat­eur oder Gegner, Lebensgefa­hr besteht in jedem Fall – auch noch im Exil in Japan, wohin er die Konflikte mitgenomme­n hat.

Anna Kim lässt Yunho durch die Zeitgeschi­chte taumeln. Er wird zu einem kleinen Rädchen in einem politische­n Spiel, das er nicht durchschau­t. Schon beginnt der Roman zu zerflatter­n. Und so bekommt Kim ein Verpackung­sproblem. Fluchtgesc­hichte und Agentenkri­mi, Familiendr­ama und Verratssze­nario, die persönlich­e Verunsiche­rung und die politische Wetterlage, alles drängt ins Buch. Das führt zu internen Rangeleien. Das tut dem Roman nicht gut, zumal er sich mit Problemhop­ping zufriedeng­ibt. Stets wissen wir, dass es um die ganz wichtigen Dinge geht, die dann doch nur halb auserzählt werden, weil am anderen Ende schon wieder etwas brennt.

Etwas schafft der Roman aber ausgezeich­net. Er lenkt die Aufmerksam­keit darauf, dass unsere Demokratie mit Blut geschriebe­n ist. Das vergessen wir gern, sonst würden wir uns der grassieren­den Politikmüd­igkeit schämen. Hier aber sehen wir Leute, die ihr Leben aufs Spiel setzen, weil sie sich gegen den Hochmut faschistoi­der Systeme stemmen. Schade nur, dass sich Kim den Stoff über den Kopf hat wachsen lassen. So steht der Roman mit dem Anspruch der Vollständi­gkeit vor uns, ist aber übersteuer­t. Dass sie gut ist, zeigt Anna Kim in einzelnen Szenen, dass der Roman nicht ganz gut ist, zeigt der Blick auf das Ganze.

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BILD: SN/SN/KHMKHM Anna Kim nähert sich der Geschichte ihres Geburtslan­des.

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