Aus der grellen Blase platzt das Leben
Die österreichische Band Bilderbuch eroberte die Charts mit knallig-bunter Übertreibung. So ausgelassen wie die ehemaligen Klosterschüler war lang niemand. Aber so lässig kann das alles freilich nicht weitergehen.
SALZBURG, WIEN. Es flutscht nicht so einfach wie letztens. Letztens, das ist zwei Jahre her. Da raste die Band Bilderbuch, zuvor lang Geheimtipp, mit dem Album „Schick Schock“an die Spitze der Charts. Sie definierte ein neues Liebesverhältnis zwischen deutscher Sprache und sexy Grooves. Ausgelassenheit und raffinierter Sound, laszive Anhabigkeit, totale Coolness – das war der Style zur Überwältigung.
Und jetzt, mit dem neuen Album „Magic Life“?
Es zerplatzen die Seifenblasen, die auf „Schick Schock“so herrlich aufgebläht waren. Es löst sich aber nicht alles in Luft auf. Aus den kleinen Spritzern, die beim Platzen entstehen, wächst das Neue. Das kommt nicht als runde, schillernde Sache mehr, sondern eher als bruchstückhaftes Herantasten.
„Ich versuche, die Sprache zum Tanzen zu bringen“, sagt Sänger Maurice Ernst. Bilderbuch haben dazu den Groove über das Wort gestellt. Weniger, was gesungen wird, sondern wie es gesungen wird, bestimmt das Handeln. Dazu kommt, dass Maurice Ernst das Talent hat, in kurzen Phrasen und knalligen Einzelnen große Stimmungen einzufangen. Deshalb muss immer wieder Falco als Referenz herhalten. Ästhetisch ist das lächerlich. Bilderbuch bevölkern einen anderen Planeten zu einer anderen Zeit.
Dennoch bleibt – rein biografisch – eine Parallele, was die Haltung betrifft. Da gleicht „Magic Life“Falcos „Junge Roemer“(das an den Durchbruch mit dem Album „Einzelhaft“nicht anschließen konnte). Beide Alben verzichten auf eine Wiederholung der Erfolgsrezepte. Es schwingt in beiden Fällen deutlich die Frage mit: Wie geht man mit dem Jubel der Masse, der totalen Überwältigung um?
Bilderbuch vermeiden, wie einst auch Falco, zu Gefangenen des eigenen Erfolgs zu werden. „Magic Life“ufert aus, ist nicht so konzentriert auf die flotte Party wie das Vorgängeralbum. Der Sound sucht nach einem Ausweg aus der Hithölle. „Schick Schock“war die Übertreibung, der blinde Sprung in den Pool eines luxuriösen Wellnesstempels. Mit „Magic Life“kann man nun zuschauen, wie das Wasser langsam aus dem Pool ausgelassen wird: Noch aber ist genug Zeit zum Planschen.
Die Zutaten sind ähnlich wie bei „Schick Schock“: Der Groove bleibt mächtig, aber er knallt nicht mehr so unbedingt und überwältigend. „Magic Life“bewahrt Distanz. Ein schnelles Hinhören reicht da nicht. Die Buntheit bekommt Kratzer. Das „Magic Life“ist mitnichten ein Idealland, sondern eher das letzte Aufglitzern einer Idylle, die längst zu bröckeln begonnen hat.
Da ist einerseits das „Magic Life“dieser Band. Zwölf Jahre lang ging es stetig bergauf. Von der Schülerband aus dem Kloster Kremsmünster wurden sie mit „Schick Schock“preisüberhäufte Stars. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Danach knallt man nicht mehr kompromisslos Gassenhauer hin, sondern beginnt nachzudenken, ob man das überhaupt will – auch wenn man’s könnte. Sie hätten wie bei „Schick Schock“weitermachen können. Stattdessen setzen sie die Entwicklung als Band über den Kommerz. Dementsprechend spröde, ja störrisch mutet das neue Album an. Gesucht wird ein Weg, der das Geschaffte nicht verleugnet, aber doch in eine neue Richtung führt.
Dieses „Magic Life“entwickelt sich zu einem deutlichen Hinterfragen eines Lebens in einem exklusiven Club. „All inclusive“– das gibt es hinter Mauern und bewachten Zufahrten. Realität wird ferngehalten, um den schönen Schein zu wahren. Nachdem Bilderbuch ordentlich draufgehauen haben auf die Partytrommel, wendet sich der Blick nun also nach innen. Das mag Maurice Ernst auch als politisches Statement verstanden wissen. Ein Magic Life Club sei für ihn ein Ort, an dem genau das Gefühl wachsen könne, „das wir in Europa gerade haben“.
In Europa werde man in einen All-inclusive-Club hineingeboren. Essen ist da, Unterhaltung an allen Ecken und beschützt wird man auch, während hinter Mauern und Zäunen Gepeinigte auf Einlass hoffen. Freilich ist das nicht so direkt formuliert. Aber die Grundstimmung von „Magic Life“ist angespannt, eher beunruhigend als ausgelassen, eher melancholisch als freudetaumelnd. Sicher lässt sich zu all dem immer noch gut tanzen. Aber die Beine fliegen nicht mehr flockig leicht, sondern spüren den Boden unter ihnen. Bilderbuch machen einen mächtigen Schritt in die Welt der Nachdenklichen, die aber nicht aufs Feiern verzichten wollen.
Wie heißt es also folgerichtig im Song „Investment 7“: „Der Prosecco prickelt sich/durch den Verstand/Und nimmt meine Hand.“Es darf wieder getanzt werden, aber wo einst grelle Lichter blendeten, lässt sich nun ein Abgrund erkennen.