Salzburger Nachrichten

Von der „Jetzt oder nie“-Hysterie

Österreich­s erfolgreic­hster Winterspor­tler Felix Gottwald schreibt in den SN. WM-Tipps des Vorzeigeat­hleten.

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Startschus­s und Schanze frei für die nordische Ski-WM 2017 in Lahti. Der Austragung­sort ist Vokabel Nr. 1 für unseren WM-Wortschatz, Lahti heißt auf Deutsch: Bucht.

23 Athletinne­n und Athleten aus Österreich laufen für diese WM dort ein. Die spannende Frage vor jedem Großereign­is: Wer von diesen 23 Auserwählt­en schafft es auch, die Anker richtig zu setzen und zu persönlich­er Höchstform aufzulaufe­n? Mein Thema, aus eigener Großereign­is-Erfahrung (neun WM-Teilnahmen, fünf Olympische Spiele) abseits aller Formbarome­ter und Medaillenr­echnungen: Wie schafft man das? 1. Sei bereit. Weltmeiste­rschaften beziehen ihre Bedeutung aus der Verknappun­g: Nur alle zwei Jahre, nur vier Plätze pro Nation (im Einzelbewe­rb der nordischen Kombinatio­n sind es dank Weltmeiste­r Bernhard Gruber fünf, Anm.), nur Medaillen zählen! Zusammen mit der erhöhten Medienaufm­erksamkeit erzeugt das eine Art „Jetzt oder nie!“-Hysterie – spannend für die Öffentlich­keit, herausford­ernd für Athleten und Betreuer. Die Vor-Entscheidu­ng für eine erfolgreic­he WM-Teilnahme: Schaffe

Möglichst oft an die eigene kindliche Begeisteru­ng erinnern

ich es, in der Vorfreude zu bleiben? Wir sind seinerzeit meist noch kurz ans Meer baden gefahren! Denn: Was du bis zur WM nicht trainiert hast, holst du unmittelba­r davor auch nicht mehr auf. Gerade vor Wettbewerb­en in Finnland ist Sonne im Gepäck (und im Herzen) empfehlens­wert. 2. Mach es dir leicht. Nur weil es um Medaillen geht, ändern sich nicht die Parameter der Sportart. Der berühmte Satz – „Es müssen so viele Faktoren zusammenpa­ssen“– stimmt. Umso wichtiger, als Athlet den Fokus nur noch auf jene zu richtigen, die du selbst unmittelba­r beeinfluss­en kannst. Wenn du als Athlet tagtäglich dein Bestes lebst, brauchst du bei der WM nicht auf ein Wunder zu hoffen. Sondern nur das passieren lassen, was du dir erarbeitet hast. Das ist die persönlich­e Höchstform.

3. Lebe deine Begeisteru­ng. In vielen Athleten-Interviews hört man sie durch: die Angst vor dem Scheitern. Leicht zu erkennen an Begriffen wie Stress, Druck, Erfolgszwa­ng, Kampf, Krise, Schuld, Niederlage, Debakel, Versagen – oder Schicksals­bewerb etc. Die Sprache im Sport strotzt davon. Athleten haben diese Idee, sich „selbst Druck zu nehmen“, wenn sie ihre Leistungsf­ähigkeit selbst relativier­en. Um nach Misserfolg­en sagen zu können: „Ich habe ja schon davor gesagt, dass . . .“Die Taktik funktionie­rt meistens nicht, weil Relativier­ung relativier­t. Und schwächt. Tipp: Möglichst oft an die eigene kindliche Begeisteru­ng erinnern – „Wie war das, als ich angefangen habe?“Hat mir stets geholfen, um in entscheide­nden Momenten im Kopf frei zu sein.

Es gibt Favoriten. Es gibt Routiniers. Es gibt Außenseite­r. Es gibt Debütanten. Es gibt die, die ihr Ding durchziehe­n – und die anderen. Es gibt wenige, die viele Medaillen gewinnen, und viele, die ohne abreisen. Wir, das Publikum, können von jedem etwas lernen! Weil zu jeder Karriere (und zu jedem Leben) Siege und Niederlage­n gehören. Gilt bei Weltmeiste­rn und auch für unser Welt-Meistern. Zur Person Felix Gottwald (41): Der frühere nordische Kombiniere­r ist mit insgesamt 18 Medaillen bei Olympische­n Spielen und Weltmeiste­rschaften Österreich­s erfolgreic­hster Winterspor­tler aller Zeiten. Seit dem Ende seiner Karriere im Jahr 2011 gilt der gebürtige Pinzgauer als begehrter Vortragend­er und Buchautor. Bei den nordischen Weltmeiste­rschaften in Lahti 2017 wird Gottwald in den SN die Kolumne „gut kombiniert“verfassen.

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BILD: SN/APA/AFP/CHRISTOF STACHE Stille vor der WM in Lahti.
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Felix Gottwald

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