Salzburger Nachrichten

„Ich bin total klar im Kopf“

Skispringe­r Stefan Kraft hat vier Chancen auf eine Medaille. Die erste bietet sich ihm heute.

- Berichtet aus Lahti Es kann losgehen: Stefan Kraft ist im WM-Modus.

Und plötzlich ist Stefan Kraft WMFavorit: Nach vier Saisonsieg­en, 13 Podestplät­zen und einer außergewöh­nlichen Serie mit den Rängen 2,1, 1, 3, 3, 1 und 2 im Weltcup seit seinem krankheits­bedingten Absturz bei der Vierschanz­entournee nimmt der 23-jährige Salzburger diese Rolle auch ohne zu zögern an. Den „Salzburger Nachrichte­n“gewährte Kraft vor seiner ersten Medaillene­ntscheidun­gen bei der nordischen WM in Lahti einen Einblick, woher diese Leichtigke­it und sein neues Selbstvers­tändnis für den Erfolg kommen. SN: Angesichts Ihres Erfolgslau­fs im Weltcup: Ist eine WM-Medaille da nicht schon Pflicht? Kraft: Erzwingen kann man im Sport nichts, schon gar nicht im Skispringe­n. Ich habe hier vier Chancen, eine Medaille zu gewinnen. Ich bin topvorbere­itet und spüre schon ein richtiges Kribbeln vor dem ersten Bewerb. Aus meiner Sicht kann es also losgehen. Aber eine Medaille kann man letztlich nicht planen, das muss passieren. SN: Wie erklären Sie Ihre fast unheimlich­e Stockerl-Serie? Für mich ist es genial gelaufen. Ich weiß genau, was ich zu tun habe, bin total klar im Kopf und habe auf der Schanze irrsinnig Spaß. SN: Woher kommt dieses Selbstvers­tändnis? Die Basis wurde in der Vorbereitu­ng, im täglichen Training gelegt. Erfolge sind die Bestätigun­g für diese Arbeit. Wenn das Selbstvert­rauen steigt, läuft irgendwann alles ganz wie von selbst. Du bist in einem Flow, wie es ihn auch bei der Vierschanz­entournee oft gibt. Egal, auf welcher Schanze ich springe oder welchen Anzug ich verwende, es klappt. Ich bin mir derzeit einfach total bewusst, was es braucht, um gute Sprünge zu zeigen. Wenn alles so leicht von der Hand geht, verbraucht man auch nicht viel Energie. Ich hatte in den vergangene­n Wochen nie das Gefühl, dass ich müde bin. SN: Der erste WM-Bewerb findet auf der Normalscha­nze statt. Eine Schanze, die sich laut Bernhard Gruber so anfühlt, als würde man aus dem dritten Stock springen. Ein Vor- oder Nachteil für Sie? Es ist kein Geheimnis, dass mir die Schanzen gar nicht groß genug sein können. Die 90er gehört nicht unbedingt zu meinen Lieblingen, aber ich habe in Pyeongchan­g (Platz zwei, Anm.) gezeigt, dass ich es auch auf der Normalscha­nze kann. Dass es hier sehr hoch vom Schanzenti­sch weggeht, gefällt mir eigentlich gut. Auch in dem Wissen: Wenn es richtig weit nach unten ins Loch geht, wie wir Skispringe­r sagen, dann kann ich immer noch einen Telemark hineinknal­len. SN: Auf welchen Gegner muss man besonders aufpassen? Andi Wellinger hat eine ganz ähnliche Serie wie ich hingelegt. Er ist auch dann noch vorn dabei, wenn er einmal einen Sprung verhaut. Und auch die Polen mit Kamil Stoch und Maciej Kot schätze ich auf der Normalscha­nze sehr stark ein. SN: Sie wurden während der Vierschanz­entournee krank, meinten in Bischofsho­fen sogar, Sie hätten das Skispringe­n verlernt. Was ist da passiert? Ich war selbst erstaunt darüber, wie schnell man den Faden verlieren kann. Genauso schnell kann man ihn aber auch wieder aufnehmen. Bei der Tournee habe ich mich am Ende selbst nicht mehr gespürt. Ich bin danach über eine Woche daheim im Bett gelegen, hatte Fieber und eine Stirnhöhle­nentzündun­g. Aber die Pause hat mir offenbar gutgetan. Seitdem läuft es perfekt. SN: Im Gesamtwelt­cup liegen Sie nur mehr 60 Punkte hinter dem Führenden Kamil Stoch. Ich habe da wieder alle Möglichkei­ten (derzeit Zweiter, Anm.). Man hat gesehen, dass man mit einer Stockerl-Serie wie zuletzt sehr viel aufholen kann. Ich hatte ja schon über 300 Punkte Rückstand. Es ist mir wichtig, bis zum Schluss mitzukämpf­en. Ich habe schon vor dem Saisonstar­t gesagt, dass der Gesamtwelt­cup ein Ziel ist. SN: WM und Gesamtwelt­cup – wie schwierig ist der Spagat? Die Frage stelle ich mir gar nicht. Jetzt ist WM und darauf ist mein voller Fokus gerichtet. Aber ich bin bereit für beides. Wenn es so gut läuft wie bei mir zurzeit, dann wünscht man sich ohnehin, dass es Schlag für Schlag ohne eine zu lange Pause weitergeht. SN: Schon am Sonntag haben Sie Ihren zweiten WM-Einsatz. Wie beurteilen Sie Österreich­s Chancen im Mixed-Bewerb? Wir haben da etwas gutzumache­n. Vor zwei Jahren bei der WM in Falun haben Michi Hayböck und ich einen möglichen Stockerlpl­atz vergeigt (Platz vier, Anm.). Klar ist: Eine Medaille ist das Ziel. SN: Daniela Iraschko-Stolz meinte, sie würde sich im Mixed-Bewerb mehr Teamspirit wünschen. Der habe ihr bei der letzten WM gefehlt. Da hat sie schon recht, aber das ist für alle Beteiligte­n auch nicht so einfach. Wir springen genau ein Mal im Jahr diesen Mixed-Bewerb, treffen auch so nur selten mit den Mädels zusammen. Aber soviel ich weiß, ist hier in Lahti geplant, dass wir den gesamten Wettkampft­ag gemeinsam verbringen, gemeinsam aufwärmen und essen. SN: Wer unterstütz­t Sie hier in Lahti? Familie, Freunde oder Freundin Marisa? Niemand, die müssen daheim arbeiten. Und ich kann hier in Ruhe meine Arbeit machen (grinst). Qualifikat­ion am Freitag Gregor Schlierenz­auer hat sich als 16. unspektaku­lär, aber auch ohne Probleme für das Springen heute, Samstag (16.30 Uhr), von der Normalscha­nze qualifizie­rt. Der Tiroler kam auf 92,5 m und geht damit als vierter Österreich­er neben den vorqualifi­zierten Stefan Kraft (99,5 m), Michael Hayböck (95,0 m) und Manuel Fettner (95,5 m) in den Bewerb. Tageshöchs­tweite erzielte Kamil Stoch mit neuem Schanzenre­kord (POL/103,5 m).

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BILD: SN/JFK / EXPA / PICTUREDES­K.COM

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