Bodo Hell sucht das Wundersame
Der Dichter und Senner nimmt sich die Ausprägungen des Übergroßen vor.
Wir dürfen uns Bodo Hell als einen bodenständigen Menschen denken. Im Sommer arbeitet er als Senner auf einer Alm im Dachsteingebiet und ist vertraut mit den Gebräuchen der Älpler. Er verhält sich dazu nicht so konservativ, dass er diese Erscheinungen, die aus den Tiefen der Zeit und dem Innersten einer Gemeinschaft kommen, einfrieren möchte, auf dass sie unveränderbar die Zeiten überstehen mögen. Und schon gar nichts hat er mit volkstümelnder Verlogenheit einer endlosen Schönwetterwelt am Hut. Er kommt von der experimentellen Literatur. Friederike Mayröcker, Ernst Jandl und die österreichische Literatur, die aufs Erzählen pfeift, weil die Sprache selbst so viel Rätselhaftes aufgibt, stehen ihm nahe. Seine jüngste Veröffentlichung sollen wir als Sachbuch nehmen, so gespickt mit Informationen präsentiert sie sich, arbeitet aber mit Mitteln einer Literatur, für die das Eindeutige ein Gräuel ist.
Heiligenfiguren, Ausprägungen des Übergroßen, nimmt sich Bodo Hell vor. Deren Lebensgeschichten füllen den Raum zwischen historischer Nachweisbarkeit und kühner Erfindung. Heilige waren einmal durchschnittliche Gestalten, bis sie den christlichen Glauben so ernst nahmen, dass sie für ihn siegesgewiss ihr Leben hingaben. Ein besseres Leben erwartete sie nach ihrem Treiben auf der Erde, und dafür lohnte es sich, Qualen zu ertragen, ja sie gar als Gnade zu empfinden.
Weil nichts sicher ist und Lebensläufe sich im Ungefähren verlieren, schwören sich wandelnde Zeiten ihre jeweiligen Zeitgenossen auf die Religionshelden neu ein. Das ist im Sinn des Bodo Hell, der sie zum Spielmaterial von neunzehn Erzähleinheiten nimmt, wo ihre Wandlungsfähigkeit auch in Sprache und Form ausgestellt wird.
Was früher allgemeines Gut war, die Eigenart einer Cäcilia Romana oder einer heiligen Elisabeth benennen zu können, ist heute als kollektiver Schatz nicht mehr greifbar. Bodo Hell holt die Legenden aus der Vergessenheit und nimmt sie zum Material literarischer Ausschweifungen. Das macht er deshalb gern, weil er die Identität kraft der Sprache und der Form aufzulösen vermag. Das scheint ihm ein notwendiges Verfahren, weil die Angaben zu ein und derselben Person widersprüchlich sind. Oft ist gar nicht zu benennen, von wem die Rede ist, so unterschiedlich sind die Zuschreibungen, die eine Heiligenfigur betreffen. Helena zum Beispiel: Einmal ist sie „die aus dem Schwanen-Ei geborene Tochter des Zeus und der Leda“, dann eine „Stallmagd aus dem französischen Südwesten“oder eine „Wegbereiterin des Christentums“.
Heiligen kommt die Eigenschaft zu, im Bund mit dem Göttlichen zu stehen. Das nimmt sie aus dem Spiel, Gesetzen der Wahrscheinlichkeit und Plausibilität gehorchen zu müssen. Das Wundersame ist ein Wert an sich. Bodo Hell verleiht ihm eine Sprache, der Verzücken und Skepsis gleichermaßen eingeschrieben sind. Es wird sichtbar, wie einem Leben die wunderbare Legendenvermehrung entwächst. Und das ist das Stammgebiet der Sprache, auf dem Bodo Hell so lustvoll wandelt.