Salzburger Nachrichten

Bodo Hell sucht das Wundersame

Der Dichter und Senner nimmt sich die Ausprägung­en des Übergroßen vor.

- ANTON THUSWALDNE­R

Wir dürfen uns Bodo Hell als einen bodenständ­igen Menschen denken. Im Sommer arbeitet er als Senner auf einer Alm im Dachsteing­ebiet und ist vertraut mit den Gebräuchen der Älpler. Er verhält sich dazu nicht so konservati­v, dass er diese Erscheinun­gen, die aus den Tiefen der Zeit und dem Innersten einer Gemeinscha­ft kommen, einfrieren möchte, auf dass sie unveränder­bar die Zeiten überstehen mögen. Und schon gar nichts hat er mit volkstümel­nder Verlogenhe­it einer endlosen Schönwette­rwelt am Hut. Er kommt von der experiment­ellen Literatur. Friederike Mayröcker, Ernst Jandl und die österreich­ische Literatur, die aufs Erzählen pfeift, weil die Sprache selbst so viel Rätselhaft­es aufgibt, stehen ihm nahe. Seine jüngste Veröffentl­ichung sollen wir als Sachbuch nehmen, so gespickt mit Informatio­nen präsentier­t sie sich, arbeitet aber mit Mitteln einer Literatur, für die das Eindeutige ein Gräuel ist.

Heiligenfi­guren, Ausprägung­en des Übergroßen, nimmt sich Bodo Hell vor. Deren Lebensgesc­hichten füllen den Raum zwischen historisch­er Nachweisba­rkeit und kühner Erfindung. Heilige waren einmal durchschni­ttliche Gestalten, bis sie den christlich­en Glauben so ernst nahmen, dass sie für ihn siegesgewi­ss ihr Leben hingaben. Ein besseres Leben erwartete sie nach ihrem Treiben auf der Erde, und dafür lohnte es sich, Qualen zu ertragen, ja sie gar als Gnade zu empfinden.

Weil nichts sicher ist und Lebensläuf­e sich im Ungefähren verlieren, schwören sich wandelnde Zeiten ihre jeweiligen Zeitgenoss­en auf die Religionsh­elden neu ein. Das ist im Sinn des Bodo Hell, der sie zum Spielmater­ial von neunzehn Erzähleinh­eiten nimmt, wo ihre Wandlungsf­ähigkeit auch in Sprache und Form ausgestell­t wird.

Was früher allgemeine­s Gut war, die Eigenart einer Cäcilia Romana oder einer heiligen Elisabeth benennen zu können, ist heute als kollektive­r Schatz nicht mehr greifbar. Bodo Hell holt die Legenden aus der Vergessenh­eit und nimmt sie zum Material literarisc­her Ausschweif­ungen. Das macht er deshalb gern, weil er die Identität kraft der Sprache und der Form aufzulösen vermag. Das scheint ihm ein notwendige­s Verfahren, weil die Angaben zu ein und derselben Person widersprüc­hlich sind. Oft ist gar nicht zu benennen, von wem die Rede ist, so unterschie­dlich sind die Zuschreibu­ngen, die eine Heiligenfi­gur betreffen. Helena zum Beispiel: Einmal ist sie „die aus dem Schwanen-Ei geborene Tochter des Zeus und der Leda“, dann eine „Stallmagd aus dem französisc­hen Südwesten“oder eine „Wegbereite­rin des Christentu­ms“.

Heiligen kommt die Eigenschaf­t zu, im Bund mit dem Göttlichen zu stehen. Das nimmt sie aus dem Spiel, Gesetzen der Wahrschein­lichkeit und Plausibili­tät gehorchen zu müssen. Das Wundersame ist ein Wert an sich. Bodo Hell verleiht ihm eine Sprache, der Verzücken und Skepsis gleicherma­ßen eingeschri­eben sind. Es wird sichtbar, wie einem Leben die wunderbare Legendenve­rmehrung entwächst. Und das ist das Stammgebie­t der Sprache, auf dem Bodo Hell so lustvoll wandelt.

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BILD: SN/DROSCHL/S. LANDL Bodo Hell, geboren 1943 in Salzburg, lebt als Dichter, Essayist und Künstler in Wien und im Sommer als Senner auf einer Alm auf dem Dachstein.
 ??  ?? Bodo Hell: Ritus und Rita, Essay, 120 Seiten, Droschl Verlag, Graz 2017.
Bodo Hell: Ritus und Rita, Essay, 120 Seiten, Droschl Verlag, Graz 2017.

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