Liebst du wieder oder suchst du noch?
Mit der Lupe suchen muss man gute Nachrichten aus den USA. Dass sich Ryan Adams scheiden ließ, zieht so eine gute Nachricht nach sich.
Scheiden tut weh? Ach was, es kann sich auch verdammt gut anhören. Deshalb ist die Scheidung von Schauspielerin Mandy Moore und Songwriter Ryan Adams ein Glück. Zumindest für jene, die Adams zuhören, wie er Schmerz, Kummer und (vorübergehende) Aussichtslosigkeit zu Songs macht.
Sein neues Album „Prisoner“taugt als Zeugnis eines Kampfes, den jeder irgendwie irgendwann in seinem Leben führen muss. Es zeigt sich – bei Adams zum wiederholten Mal –, wie der Schmerz des Abschieds Initialzündung für Kreativität sein kann.
Der 42-jährige US-Musiker beherrscht wie nur die Guten der Songschreiberwelt die Kunst, ein Problem nicht als Song gewordene Selbsttherapie verrecken zu lassen. Das Ende nimmt er zur Ausgangslage einer Betrachtung, die sich nicht scheut, das Innerste so nach außen zu kehren – und zwar so, dass auch das Zuhören schmerzvolle Erkenntnis spürbar macht. Dabei ertrinkt Adams nie in Selbstmitleid. Er schafft eine allgemein brauchbare Anleitung zum Umgang mit Verlust.
Rund 80 Lieder hatte Adams herumliegen, bevor er anfing, sie zu diesem Album zu verdichten. Es blieben zwölf Songs. Wut hat Platz und ebenso ohnmächtige Niedergeschlagenheit. „Diese Songs sind ein Teil von mir, aber jetzt sind sie ein Teil von jedem, der sie braucht“, lässt Adams nun zur Veröffentlichung der Aufarbeitung einer Schmerzenszeit wissen.
Trotz der emotionalen Spannweite verkommt „Prisoner“nicht zum Bruchwerk. Dazu beherrscht Adams die Vielschichtigkeit des Formats „Song“auch viel zu gut, ja offensichtlich kann er noch in größter Not spielerisch eine Melodie zaubern. Adams setzt unterschiedliche Mittel ein. Da ist verstörend leiser Folk, der zur Aufmerksamkeit (und so zum Mitleiden) zwingt. Und da gibt es auch schwere, breite Gitarren. Das Metathema der Scheidung hält alles zusammen, als sei es aus einem Guss. Das ist auch deshalb besonders, weil „Prisoner“tatsächlich als Album funktioniert und nicht bloß als heutzutage übliche Ansammlung von Songs.
„Prisoner“stellt gleich zu Beginn die alles entscheidende Frage: „Do You Still Love Me?“Dieser Song kracht und donnert. Und schon da kann einem klar werden: Der hier eingesetzte, mächtige Rock dient als Befreiung von einer Antwort, die man schrecklicherweise erahnt. Wer so fragt wie Adams, weiß, dass die Antwort der Zerstörung jeder Hoffnung gleichkommt. Adams nimmt in dem Song stilistisch (wie schon öfters) große Namen der 1980er als Vorbild. Breit sind die Akkorde, süffig der Vortrag. Da schauen Foreigner oder REO Speedwagon beim Fenster herein. Es erschreckt freilich, dass beim Zuhören das Erbe solcher Totengräber und Glatt- schleifer der Rockmusik auftaucht. Ein Irrweg und eine Sackgasse ist das – wie schon die Frage „Do you still love me?“–, wenn doch eh von Anfang an klar ist, dass alles aus ist. Adams aber zieht rechtzeitig die Notbremse, dreht um und stürzt sich in wahre Gefühle.
Dabei schrammt er ein paar Mal knapp an der Grenze zum Unerträglichen, zum ausgelutschten KitschKlischee vorbei – kein Wunder, wenn er doch erzählt, er habe zuletzt viel The Eagles oder Bruce Hornsby gehört. Im Lauf des Albums ist das alles aber schnell vergessen. Es wird immer zaghafter, immer unsicherer auf Basis der typischen Adams-Zutaten Rock, Folk und Country. Schließlich gibt es Momente, da fürchtet man, der Mann werde gleich wimmern in seinem Leid. Das kann er nämlich gut. Und er kann das immer schon.
Bei Adams passierten ein paar der besten Alben nach Trennungen. Amy Lombardi und Jessica Joffe sind die Namen, denen wir etwa die Alben „Heartbreaker“(Adams’ Solodebüt aus dem Jahr 2000) und „Cardinology“(2008) verdanken. Und wie es war, als er sich vor zehn Jahren von den intensiven Begleitern Heroin und Kokain und anderen gefährlichen Substanzen lossagte, ließ er auf „Easy Tiger“(2007) spüren. „Ich nehme einfach an meinen Erfahrungen teil“, sagt er im Interview über die Nähe aus Leben und Song. Er wolle in seiner Kunst immer ganz offen sein. Dabei sei es egal, ob es um seine Probleme mit Alkohol gehe, um Liebeskummer, „der einem mehr als alles andere
Mit Bruce Springsteen als Begleiter auf dem Weg aus der Dunkelheit
das Herz brechen kann“, oder um sein bisweilen kindisch verrücktes Verhalten in der Öffentlichkeit. Adams gilt ja als Hitz- und Trotzkopf.
Adams erzählt auch, dass er nach der Trennung von Moore viel Bruce Springsteen gehört habe. Das Album „Darkness on the Edge of Town“habe er sich oft aufgelegt. Mit diesem Album – erschienen 1978, drei Jahre nach dem Megaerfolg von „Born to Run“und einem lähmenden Rechtsstreit mit seinem Manager Mike Appel – richtet Springsteen den Blick nach vorn. Die Dunkelheit des Vergangenen war längst nicht gelöscht – jedenfalls nicht aus den Songs. Es tauchen aber Hoffnungsschimmer auf. So weit ist Adams noch nicht. Es begleitet ihn – auch stilistisch in Springsteen’schem Geist – die Hoffnung, deren große Schwester Düsternis aber noch das Sagen hat. Noch ist Adams nicht da, wo sich Springsteen beim Aufbruch nach der Lähmung mit Songs wie „Racing in the Street“oder „Prove It All Night“schon befand. Noch verharrt Adams in den Ausläufern des Schmerzes, noch heißen Songs „Broken Anyway“oder „To Be Without You“. Er ist „Prisoner“, aber er wird wieder freikommen.