Bei den Special Olympics zählt die Freude mehr als ein Sieg
Die Winterspiele für intellektuell beeinträchtigte Menschen vieler Altersstufen strahlen in der zweiten März-Hälfte von Schladming, Ramsau und Graz hinaus in die Welt.
GRAZ. Die Botschaft der Special Olympics ist klar: „In 169 Ländern bringt unser Sport jeden Tag die Menschen zusammen und sie schaffen eine gesündere und offenere Welt für alle.“An besonderen Tagen läuft alles intensiver und aufregender ab – so wird es auch zwischen 14. und 25. März sein. Bei den 11. Special Olympics World Winter Games Austria 2017 in Schladming, Ramsau und Graz.
Für Sportlerinnen und Sportler egal in welcher Disziplin sind Großereignisse eine nervenaufreibende Sache. Vorbereitung, Reisestrapazen, Wettkampf. Wie erleben Menschen, die spüren, dass etwas Besonderes bevorsteht, aber in ihren Wahrnehmungen eingeschränkt sind, solche Veränderungen des Alltags? „Als unsere Michi im Jahr 2009 die Chance bekommen hatte, bei den Spielen in Boise (Anm.: Hauptstadt des US-Bundesstaats Idaho) teilzunehmen, haben wir ihr gesagt, dass wir eine Urlaubsreise machen“, schildert die in Salzburg lebende Tirolerin Dagmar Meister, „eine lange Reise, weit weg und mit dem Flugzeug. Dann hat sie immer wieder gesagt: Ganka – so nennt sie mich –, Urlaub mit Flugzeug, Ganka, Urlaub mit Flugzeug.“
Die Michi, das ist Dagmar Meisters Schwester Michaela Schörgendorfer. Durch Sauerstoffmangel bei der Geburt 1991 funktioniert die Koordination der Gehirnhälften nicht. Michi kann weder lesen noch schreiben. Sie bekommt viel vom Alltag mit, möchte mitreden, scheitert aber oft. Ihr Sprachschatz entspricht ungefähr dem eines zweibis dreijährigen Kindes, aber so direkt vergleichbar ist das nicht. Nach dem Ableben beider Eltern binnen kurzer Zeit kam Michi in die Betreuung des Tiroler Vereins W.I.R., einer Sozialeinrichtung für Menschen mit Behinderung. Sport nimmt bei W.I.R. einen großen Stellenwert ein.
Michis erste Blickkontakte mit Langlaufski lösten Ablehnung aus. „I net langlaufen. I Fußweh“, sagte Michi. „Aber als sie die Ski angeschnallt und versucht hatte, einen Schritt zu machen, wollte sie nicht mehr aufhören“, erinnert sich die Schwester. Für Michi war die Lenkung ihrer Beine äußerst schwierig. Sie fiel zu Boden und rappelte sich auf. Noch einmal und noch einmal. Ein Ehrgeiz, das Neue jetzt zu beherrschen, hatte sie gepackt. Es wurde langsam besser, aber von einem Langlaufen in einer Spur kann bei ihr keine Rede sein.
Michi hat es geschafft, sich auf den Beinen zu halten und, so gut es geht, vorwärtszurutschen – so wie es viele andere Sportlerinnen und Sportler mit ähnlichen Beeinträchtigungen auch machen. Beim Langlaufbewerb in Idaho über eine kurze Distanz war Michi zu spät gestartet, entwickelte einen Eifer und überholte alle. Kurz vor dem Ziel blieb sie stehen. Ihre Schwester und die Betreuer riefen ihr zu: „Lauf weiter.“Michi blieb stehen und sagte: „Auf Freunde warten.“Nach und nach rutschten Freunde vor ihr durchs Ziel. Michi fuhr ihnen nach, wurde Vierte und rief glückstrahlend: „Ich fertig. Ich wonnen haben.“Dann umarmte sie ihre in Idaho gewonnenen neuen Gefährten.
Dagmar Meister: „Sie haben alle so viel Spaß miteinander gehabt und wir haben uns gewundert, wie die Kommunikation abläuft. Lauter verschiedene Sprachen und wahrscheinlich haben alle in der Art wie Michi geredet. Aber es hat geklappt.“Bei den heurigen Spielen ist Michi in Ramsau wieder dabei. Es geht für sie wieder in einen Urlaub, diesmal ohne Flugzeug.
Michi wird gemeinsam mit anderen Teilnehmern und nicht mit Verwandten wohnen. „Auch das gehört zu den Special Olympics. Es ist eben ein sportliches Großereignis“, sagt Birgit Leyerer, im Verein W.I.R. für Sportkoordination zuständig und Betreuerin bei den Spielen. Sie sieht Sport als gutes Lernfeld, um Menschen in einem geschützten Rahmen die Möglichkeit zu geben, ein Ziel zu erreichen. „Bei Lernschwierigkeiten ist Anerkennung sehr wichtig“, sagt Birgit Leyerer, „aber auch das Umgehen mit Misserfolgen. Oder wie es ist, in der Öffentlichkeit zu stehen. Bei den Special Olympics gibt es so viele Eindrücke: Reisen, Eröffnungsfeier, die Bewerbe, die Siegerehrungen, die mediale Aufmerksamkeit, die Schlussfeier. Auch wenn die eigenen Möglichkeiten reduziert sind: Du kannst etwas schaffen und danach mit Freude auf ein Treppchen steigen.“
Der Ablauf von Bewerben bei den Special Olympics ist nicht mit herkömmlichen Veranstaltungen vergleichbar. Alle steigen auf ein Treppchen. „Aber es handelt sich nicht um Breitensport“, stellt Birgit Leyerer fest, „wenn auch eingeschränkt, so bleibt doch der Gedanke des Leistungssports präsent.“
„Auf Freunde warten.“ Michaela Schörgendorfer, Langläuferin bei den Special Olympics