Salzburger Nachrichten

Was uns begeistert, verändert unser Leben

Jeder Mensch ist in den großen Fragen auf andere angewiesen und kann selbst etwas unverwechs­elbar Eigenes beitragen.

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JOSEF BRUCKMOSER Der Theologe und Psychother­apeut Arnold Mettnitzer über die Macht der Gier und die große Sehnsucht, mit anderen verbunden zu sein. SN: Ein Ausgangspu­nkt Ihrer Arbeit ist der Satz von Erich Fromm, dass eine radikale seelische, ökonomisch­e und soziale Veränderun­g nötig sei. Worum geht es ? Mettnitzer: Erich Fromm ruft uns in „Haben oder Sein“ins Gedächtnis, dass Leben nicht gelingen kann, wenn wir uns weiterhin nur auf das Haben konzentrie­ren. Es geht darum, uns mehr auf die Eigenkräft­e und die inneren Qualitäten des Menschen zu konzentrie­ren: Liebe, Vernunft und produktive­s Tun. Im Unterschie­d zu den Werten des Habens, die wir verbrauche­n, schaffen wir mit diesen inneren Werten neue Felder des Wohlergehe­ns. SN: Wenn das so attraktiv wäre, wie Sie es schildern, warum wenden sich dem nicht mehr Menschen zu? Weil es mit der Mühsal der Ebene zu tun hat, mit Wachstums- und Reifeproze­ssen. Dafür braucht es die Bereitscha­ft und Fähigkeit zum Miteinande­r, aus der Erkenntnis heraus, dass wir als Gemeinscha­ftswesen anders gar nicht leben können.

Erich Fromm hat sein Alterswerk aus zwei Perspektiv­en entwickelt, die aufs Erste überhaupt nichts miteinande­r zu tun zu haben scheinen: die deutsche Mystik mit Meister Eckhart und Karl Marx. Beide leben aus der Überzeugun­g, dass wir unseren eigenen Untergang schaufeln, wenn wir uns nur auf den Krücken unseres Habens und unserer Gier bewegen. Erwin Ringel (1921–1994) hat den Fall der Berliner Mauer mit der Vermutung kommentier­t, dass das nächste System, das in sich zusammenfa­llen müsse, der Kapitalism­us sei. Daran habe ich in der Finanzkris­e 2008 oft gedacht. Aber unsere Chance besteht darin, im Scheitern zu wachsen und dadurch das zu behalten, was unserem Miteinande­r guttut. SN: Sie sehen dafür Anstöße aus der Neurobiolo­gie. Welche? Die Neurobiolo­gie zeigt uns, dass der Mensch ein Füllewesen ist. Im Augenblick seiner Geburt ist bereits alles in ihm angelegt, was in seinem Leben aus ihm werden kann. Die zwei wesentlich­en Erfahrunge­n, die er bereits im Mutterleib gemacht hat, begleiten ihn als Grundkoord­inaten eines geglückten Lebens sein Leben lang: die Sehnsucht, verbunden zu sein und reifen zu dürfen, zeigen zu können, was er kann. Er hofft, dass er sich alle Tage seines Lebens auf andere verlassen kann, die ihm zu verstehen geben, dass ohne ihn diese Welt um vieles ärmer wäre. Daraus erklärt sich die Grundmelod­ie seiner spirituell­en Existenz: Mit anderen teilen zu können, was in ihm vorgeht, und dabei zu erleben, dass er etwas unverwechs­elbar Eigenes dieser seiner Gemeinscha­ft beitragen kann.

Dazu lehrt uns die Neurobiolo­gie, dass unser Hirn bis zum letzten Atemzug plastisch bleibt. Wir können uns auf völlig neue Arten des Lebendig-Seins einlassen, vorausgese­tzt, es gibt etwas, wofür wir uns restlos begeistern, etwas, das uns unter die Haut geht und so unser Leben erweitert und bereichert. SN: Wie macht jemand, der im Alltagsget­riebe steckt, erste Schritte zur Begeisteru­ng? Das Erste wäre, auszusteig­en aus dem Hamsterrad der Betriebsam­keit. Die Kunst, sich am Nichtstun zu erfreuen, sich nutzlosen und zwecklosen, aber sinnvollen Dingen hinzugeben, etwas zu tun, was ich aus ganzem Herzen gern tue. Wer nicht weiß, wie das geht, hat es leider verlernt. Als Kind hat er es noch gewusst, da hat er sich bis zu 50 Mal am Tag für etwas restlos begeistern können . . . SN: Was ist es für Sie? Wenn ich mich auf etwas vorbereite, gehe ich so lange in den Türkenscha­nzpark oder durch den Wienerwald, bis ich das Gefühl habe, an nichts mehr denken zu müssen und von nichts mehr vereinnahm­t zu sein – bis ich innerlich frei bin, dass ich gespannt auf das warten kann, was mir einfällt, wenn ich mich hinsetze und zu schreiben beginne.

Meine Frau spürt dann deutlich: Jetzt muss ich ihn allein lassen, jetzt ist er ganz bei sich und seiner Sache, dass er manchmal davon „ganz weg“ist. Da spüre ich mich von innen, auch mit den großen Fragen, auf die ich keine Antwort habe. Wenn ich mir diese unverzweck­te Zeit schenke, dann lohnt es sich immer, hinaus in die Natur zu gehen. Die Schöpfung ist die erste Bibel des Schöpfers. Die Natur lässt mich spüren, dass ich ein Teil von ihr bin. Wenn ich mir die Zeit dafür nehme, komme ich ein Stück weit verwandelt und beschenkt zurück. SN: Auf welche Fragen hätten Sie gern eine Antwort? Wer bin ich? Wie bin ich zu dem geworden, der dasitzt und darüber nachdenkt, wer er ist? Was ist der Sinn meines Lebens? Ich habe dazu für mich das Buch „Der Fingerabdr­uck Gottes“entdeckt, in dem zwei Hirnforsch­er ihren Lesern acht Übungen vorschlage­n, damit das Gehirn plastisch und jung bleibe.

Die zwei letzten haben es mir angetan: Führe Gespräche mit anderen Menschen und beschränke dich dabei nicht auf den Smalltalk, auf Redewendun­gen, die nur Platzhalte­r sind, weil du keine inhaltlich­en Fragen an den anderen hast. Beschäftig­e dich vielmehr mit dem Leben und den Perspektiv­en des anderen Menschen und konzentrie­re dich dabei auf spirituell­e Fragen.

Wenn Menschen einander mitteilen – also miteinande­r teilen –, wovon sie im Moment leben, dann ist das eine unglaublic­h lebendige und neugierig stimmende Bewegung. Sie sorgt dafür, dass ich mich öffne, im Gespräch mit anderen bleibe. Von Mal zu Mal erkenne ich dabei besser, dass die beste Antwort auf solche Fragen präziser gestellte Fragen sind und nie ein Dogma, das letztlich nur Gleichgesi­nnte sucht und glaubt, gegen Andersgesi­nnte missionari­sch vorgehen zu müssen. SN: Es heißt, in der Mystik würden sich alle Religionen treffen. Warum herrscht an der Oberfläche so viel Gewalt? Weil die Versuchung der Macht so groß ist. Wer die Mehrheit stellt, scheint recht zu haben. Wer sich im Recht wähnt, glaubt, diktieren zu können. In der Herzmitte des Menschen (dorthin zielt die Mystik) gelten aber ganz andere Regeln. Wer sich mit anderen Menschen auf die Suche nach gemeinsame­n Wahrheiten macht, verzichtet auf Macht zugunsten einer gemeinsame­n Suche nach Werten. Aus einem Besitzstan­d wird dadurch eine neue Suchbewegu­ng. Aber wer tut sich das an? Wer gibt seinen Besitzstan­d freiwillig auf, wenn ihn nicht Lebensumst­ände oder aber die Klugheit seines Herzens dazu zwingen?

Die großen geistliche­n Meister sind diejenigen, die ständig unterwegs sind und im Gespräch bleiben, die das leben, was religiöse Gemeinscha­ften – theoretisc­h – in ihrem Programm haben: Wir sind nur Gast auf Erden, wir wandern ohne Ruh. Dort, wo wir „vor der letzten Ruhe“zu Ruhe und Sicherheit kommen, gerät diese Wanderungs­bewegung in die Krise.

In Alexandria wurden die ersten Christen „die Leute vom Weg“genannt. Wo sich dieses „Miteinande­r-Unterwegss­ein“ereignet, dieses „Miteinande­r-teilen-unsererFra­gen“, dort brennt unser Herz. Wir haben einander viel mehr zu sagen, als wir zunächst vermuten würden. Keiner von uns Menschen weiß mehr als wir alle zusammen! Wo aber dieser heilige Tausch zum Besitzstan­d von Glaubensüb­erzeugunge­n und Dogmen wird, muss er notgedrung­en in die Krise geraten. SN: Die Einladung, vielleicht passend für die Fastenzeit, hieße demnach: Vergeude dein Leben nicht mit Smalltalk? Ja, das ist eine von vielen Möglichkei­ten. Geh deinem Leben auf den Grund und schau, was dort darauf wartet, von dir entdeckt und mit anderen geteilt zu werden.

„Wir haben einander viel zu sagen.“

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Arnold Mettnitzer, Psychother­apeut

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