Salzburger Nachrichten

Worauf können sich die EU-Staaten noch einigen?

Der Streit mit Polen wegen der Wahl des EU-Ratspräsid­enten ist nur ein Beispiel, wie schwierig es geworden ist, Kompromiss­e zu finden.

- Monika Graf MONIKA.GRAF@SALZBURG.COM

Laut einer aktuellen Umfrage wollten 54 Prozent der Polen, dass die Regierung den eigenen Landsmann Donald Tusk bei der Wiederwahl zum EU-Ratspräsid­enten am Donnerstag unterstütz­t. Doch Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS), stört das nicht. Bis zuletzt blockierte Warschau die Abstimmung der EU-Staats- und Regierungs­chefs und drohte, den Gipfel platzen zu lassen.

Die persönlich­e Fehde Kaczińskis mit Polens früherem Regierungs­chef Tusk, dem er alles Mögliche und Unmögliche vorwirft, ist aber nur ein Mosaikstei­n im angespannt­en Verhältnis zwischen Warschau und der EU. Seit dem Wahlsieg der nationalko­nservative­n PiS und vor allem seit dem umstritten­en Umbau des Verfassung­sgerichts verkehren Warschau und Brüssel vornehmlic­h schriftlic­h miteinande­r. Die EU-Kommission hat im Jänner 2016 gegen Polen ein „Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren“eingeleite­t. In zwei Schritten wird dabei geprüft, ob eine für den Rechtsstaa­t eines EU-Landes „systemisch­e Bedrohung“besteht, und allenfalls Besserung eingemahnt.

Die nächste Eskalation­sstufe im Streit mit Problemlän­dern ist der Stimmrecht­sentzug, wenn ein Land die Grundwerte „dauerhaft und in schwerwieg­ender Weise verletzt“. Das schafft ein Dilemma für die EU als Ganzes. Denn kaum jemand hält es für denkbar, dass die EU tatsächlic­h zur schärfsten Waffe in ihrem Rechtsmitt­el-Arsenal greift. Anderersei­ts kann die Kommission nicht einfach zusehen, wie ein Land die Basisregel­n der Demokratie unterminie­rt. Noch dazu, wenn in immer mehr Ländern populistis­che Parteien mit rechtlich zweifelhaf­ten Vorschläge­n Stimmen oder gar Wahlen gewinnen.

Der Streit mit Polen ist schwer lösbar, wenn beide Seiten auf ihrem Standpunkt beharren. Gerade deshalb ist er beispielha­ft dafür, wie schwierig es geworden ist, unter den (noch) 28 EU-Ländern Kompromiss­e zu finden, wenn Nachgeben ein Synonym für Niederlage ist und Solidaritä­t nur etwas für Schwächlin­ge. Oder wenn, wie bei der Quote für die Flüchtling­sverteilun­g, EU-Beschlüsse einfach ignoriert werden.

Bemerkensw­ert ist, dass die Konflikte der polnischen Regierung mit Brüssel die Bevölkerun­g offenbar kaltlassen. Laut jüngster Umfrage vom Herbst 2016 haben 51 Prozent der Polen ein positives Bild von der EU – um vier Prozentpun­kte mehr als bei der Umfrage davor und viel mehr als etwa in Deutschlan­d oder im EU-Durchschni­tt. Die Polen wissen, was sie an Europa haben, sagt ein Kenner des Landes, das immerhin der größte Nettoempfä­nger ist.

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