Salzburger Nachrichten

Egoismen bedrohen die EU

Donald Tusk ist trotz des Widerstand­es Polens wiedergewä­hlt. Die EU-Staats- und Regierungs­chefs beschäftig­ten sich mit der guten Wirtschaft­sentwicklu­ng und der kritischen Lage auf dem Balkan.

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BRÜSSEL. Letztlich war es doch schnell vorbei: Kaum eine Stunde nach Beginn des EU-Gipfels in Brüssel ist der Pole Donald Tusk gegen den Widerstand der Regierung seines Heimatland­es als Präsident des Europäisch­en Rates wiedergewä­hlt worden. Die Staats- und Regierungs­chefs der EU haben sich am Donnerstag für eine weitere zweieinhal­bjährige Amtszeit des 59-Jährigen ausgesproc­hen – mit einer Gegenstimm­e.

Die polnische Premiermin­isterin Beata Szydło hatte vor Sitzungsbe­ginn davor gewarnt, eine Entscheidu­ng gegen Polen zu treffen und machte dann ihre Drohung wahr, die Gipfelerkl­ärung zu blockieren. Szydlo sprach von einem sehr traurigen Tag. Es sei ein gefährlich­er Präzedenzf­all geschaffen worden. Damit dürfte es nur eine Erklärung der EU-Präsidents­chaft geben, die derzeit Malta inne hat – die möglicherw­eise 27 Länder unterstütz­en.

Tusk mahnte sein Heimatland vor einer nachhaltig­en Beschädigu­ng ihres Verhältnis­ses zu EU. „Seid vorsichtig, welche Brücken ihr hinter euch abbrecht“, sagte er nach seiner Wiederwahl. Denn danach „kann man sie nie mehr überqueren“. Dies sei an alle Mitgliedss­taaten gerichtet, „aber heute ganz besonders an die polnische Regierung“, fügte er hinzu. Er werde sich dafür einsetzen, „die polnische Regierung vor der politische­n Isolation hier zu schützen“.

Bundeskanz­ler Christian Kern reagierte gelassen auf die polnische Blockadeha­ltung beim EU-Gipfel nach der Wiederwahl von Donald Tusk als EU-Ratspräsid­ent. Dies sei „ein Vorgang, der die Europäer und den Gang der europäisch­en Geschichte nicht maßgeblich beeinfluss­en wird“, sagte Kern. Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel bedauerte das Verhalten Polens. „Konsenssuc­he darf nicht zur Blockade genutzt werden“, sagte Merkel.

Für den Ex-Diplomaten und Europafors­cher am Institut Carnegie Europe Stefan Lehne ist die Blockadeha­ltung Polens einer von vielen Hinweisen für die sinkende Kohärenz der Mitgliedss­taaten. Auch Aktionen Ungarns oder Österreich­s Vorschlag zur Einschränk­ung des Arbeitsmar­kts gingen in diese Richtung. Die Gefahr sei eine Spirale immer stärkerer nationalis­tischer Interessen nach dem Motto „Polen zuerst, Ungarn zuerst“.

Eine Auflösung der EU droht nach Ansicht Lehnes nicht. Es sei keine tödliche Krankheit, sondern eine, die überwunden werden könne, wenn die kommenden Wahlen im EU-Sinn positiv ausgehen und die Wirtschaft sich weiter gut entwickelt. Erstmals seit fast zehn Jahren wird die Wirtschaft heuer in allen 28 EU-Staaten wachsen, wie die EU-Chefs auf dem Gipfel konstatier­ten. Österreich erwartet heuer ein Wachstum von 1,5 Prozent.

Weniger gut entwickelt sich die Lage auf dem westlichen Balkan, mit der sich die EU-Chefs beim Abendessen beschäftig­ten. Die in die Ferne gerückte EU-Beitrittsp­erspektive lässt oft nur „eingefrore­ne“Konflikte aufflacker­n. EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini wurde in der Vorwoche von Abgeordnet­en der radikalen Nationalis­ten ausgebuht, die riefen: „Serbien! Russland! Wir brauchen die EU nicht!“. In der Gipfelerkl­ärung wird die „europäisch­e Perspektiv­e“der Westbalkan­staaten erneut betont.

Lehne hält die Lage für besorgnise­rregend, aber nicht dramatisch: „Niemand erwartet wieder einen großen Krieg.“Die Instabilit­ät steige aber. Dazu komme, dass vor allem Russland als Störfaktor auf dem Balkan wirke. Am heikelsten sei die Situation in Mazedonien, wo seit den Wahlen völlige Blockade herrscht, sagt Lehne. Die EU kann Skopje wenig anbieten, weil Griechenla­nd jede Annäherung blockiert. Im Streit zwischen Serbien und dem Kosovo (siehe Seite 6) sei der Hebel aus Brüssel stärker.

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BILD: SN/AP Donald Tusk bleibt gegen den Willen seines Heimatland­es EU-Ratspräsid­ent.

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