Bilder wecken den Gusto auf Langsamkeit
Wer „Slow Food“so praktiziert wie in den Stillleben des Goldenen Zeitalters, kann jede Fastenzeit hinter sich lassen.
Wer seinen Tisch deckt, wie es Nicolaes Gillis im Gemälde festgehalten hat, braucht nicht mittels Verzicht der Völlerei entsagen, um die Achtsamkeit zu entdecken. Wer diesen Essplatz verlassen hat, während wir hinschauen, muss sich zur inneren Sammlung keine Fastenzeit mehr verordnen. Denn die Apostel von solchem „Slow Food“, also die Maler solcher Stillleben des Goldenen Zeitalters der Niederlande, haben das Wesentliche des Seins eingesehen: Genügsamkeit, Sorgsamkeit, Balance, Leichtigkeit, Expertise, Geschmack, Schönheit und Endlichkeit, also den Tod wie dessen Überwindung.
Solche Stillleben zeigt seit gestern, Donnerstag, das Mauritshuis in Den Haag, das mitten im Quellgebiet dieses Genres steht, den südlichen und nördlichen Niederlanden. Es ist nach Angaben des Museums die erste Ausstellung, die einzig aufs Essen konzentriert ist. Ihr Titel „Slow Food“sei von jener Bewegung entnommen, die das industriell erzeugte Fast Food mit lokalen, traditionellen und frischen Speisen erwidere, erläutert Direktorin Emilie Gordenker im Vorwort des Katalogs. Die Ausstellung hebe das Langsame des Essens hervor. Denn all diese Bilder seien mit akribischer Sorgfalt gemalt, und „sie laden den Betrachter ein, sich Zeit zu nehmen, um diese den Mund wässrig machenden Kunstwerke zu genießen“.
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sollten diese Gemälde – wie Kurator Quentin Buvelot schildert – den damals neuen Reichtum der Mittelklasse darstellen. Hingegen sehen wir heutzutage bloß Zutaten für simple Jause oder schlichtes Abendessens: Käse, Obst, Nüsse, Brot, etwas Wein. Glas und Porzellan und sowieso auch Zitronen gibt es mittlerweile in jedem Billigsdorfer-Geschäft. Und trotzdem vermitteln diese Stillleben auch heute eine betörende Opulenz.
Denn jedes winzige Detail ist exquisit – der Messerknauf wie der Kannenschnabel, jede Glaswarze, jede Porzellankante wie jede Bügelfalte im Damast. Nichts ist Massenware, nichts ist verpackt, nichts als Biomüll und vererbbare, weil nützliche wie kostbare Utensilien werden bleiben. Alles, auch die bloß aufgeklaubten Äpfel, sind von Hand behutsam arrangiert. Die schlichten Erdbeeren werden mit einem extrem teuren chinesischen Schüsselchen nobilitiert. Und die komplexe Balance aus präzise platzierten Gegenständen und matten Farben lockert eine leichte Lässigkeit auf: Zerbrochene Brezel, krümelndes Brot und halbe Nüsse kugeln scheinbar schlampig herum.
Die Königliche Gemäldegalerie hat für dieses „Slow Food“ihre sowieso grandiosen Bestände noch mit Leihgaben aufgemotzt – aus Amsterdam, Haarlem, Prado in Madrid, Ashmolean in Oxford, National Gallery in Washington sowie aus Privatsammlungen, die sonst so verschlossen sind wie Austern. Hier im Mauritshuis prangen die Austern auf Gemälden von Jacob van Es, Floris van Schooten oder Osias Beert jetzt frisch, offen und schlürfbereit. Denn ihr Tod, ihr Aufgehen in Nahrung, spendet das Leben. Ausstellung: „Slow Food – Stillleben des Goldenen Zeitalters“, Mauritshuis, Den Haag, bis 25. Juni.