Dieses Spiel war unfassbar
So etwas hat die Fußballwelt noch nicht gesehen: Das 6:1 von Barcelona gegen Paris Saint-Germain brachte die tollste Aufholjagd der Champions-League-Geschichte.
„Barcelonas Enthusiasmus ließ uns die Nerven verlieren.“Thomas Meunier, Paris SG
BARCELONA. Wann hat es je so ein unfassbares Finish eines Fußballspiels gegeben? In der 87. Minute des Achtelfinal-Rückspiels der Champions League am Mittwoch fehlten dem FC Barcelona gegen Paris Saint-Germain noch drei Tore zum Aufstieg. Nach 95 Minuten aber sanken die Katalanen jubelnd auf den Rasen, die Gäste schlugen die Hände fassungslos vor die Gesichter. Nach einem Freistoß (88.) und einem Elfmeter (91.) von Neymar traf der eingewechselte Sergi Roberto beim allerletzten Angriff zum 6:1, das nach der 0:4-Niederlage vom Hinspiel noch den kaum mehr erwarteten Aufstieg brachte.
Roberto schrieb damit ein Kapitel Fußballgeschichte. Nur drei Mal in der Europacupgeschichte haben Teams noch einen Vier-Tore-Rückstand aufgeholt, noch nie aber in der 1992 eingeführten Champions League. „Das war wie in einem Horrorfilm“, sagte Barça-Trainer Luis Enrique. Er hatte nach der Enttäuschung vom Hinspiel seinen Abschied zu Saisonende angekündigt. Nun könnte er als Triple-Gewinner in die selbst gewählte Auszeit gehen, denn in der Liga führt der Club, im Pokal steht er bereits im Finale.
Das Drehbuch des Horrorfilms mit dem für Paris so schrecklichen Ende hatte es aber schon vor den unfassbaren Schlussminuten in sich. Vor 100.000 Zuschauern wurde die mitreißende Aufholjagd durch Luis Suárez (3.), Layvin Kurzawa (40./Eigentor) und Messi (50./Elfmeter) jäh gestoppt, als Edinson Cavani nach 62 Minuten einen der ganz wenigen Entlastungsangriffe von PSG erfolgreich abschloss.
Aber bei einem Horrorfilm muss man eben bis zum Finale warten. Barcelona wich für die außergewöhnliche Herausforderung von seiner Spielphilosophie komplett ab. Aggressives Pressing statt Ballbesitz – wohl auch deshalb kam Superstar Lionel Messi bei Weitem nicht so zur Geltung wie sonst. Auch Neymar und Suárez fielen eher durch Fouls und Schwalben auf. Zwei Mal aber zeigte der deutsche Schiedsrichter Deniz Aytekin in strittigen Situationen mit den beiden auf den Elfmeterpunkt. Vor dem 3:0 stolperte Neymar über den vor ihm gestrauchelten Thomas Meunier, vor dem 5:1 sank Suárez im Zweikampf mit Marquinhos sehr schnell zu Boden. „Wir dürfen dem Schiedsrichter nicht die Schuld geben“, betonte aber Paris-Innenverteidiger Thiago Silva. „Wir waren selbst nicht in der Lage, unser Spiel zu spielen.“Neymar ließ als Antreiber im verrückten Finish alles vergessen, was vorher war, er sprach etwas großspurig vom „besten Spiel meines Lebens“. Sein Freistoßtor erweckte die Katalanen wieder zum Leben, von ihm kam – nach Freistoß wegen Fouls am mitstürmenden Torhüter Marc-André ter Stegen! – der tödliche Pass zu Sergi Robertos Tor.
Bei Saint-Germain herrschte nach Schlusspfiff Begräbnisstimmung in der Kabine. „Wir haben die Nerven verloren, als wir den Enthusiasmus der Katalanen gesehen haben“, versuchte Thomas Meunier eine Erklärung für das Unfassbare zu finden. Bezeichnend für die komplette Auflösung im Horror-Finish: Ab der 85. Minute brachte PSG nur noch vier Pässe an den Mann – drei davon waren Anstöße.