Franz Schuh hebt die Gegensätze auf
Franz Schuh, der Universalhistoriker der menschlichen Befindlichkeiten, kramt in seinem Magazin des Glücks und schreibt darüber.
WIEN. Wenn Franz Schuh über sein Sein und unsere Zeit nachdenkt, schauen wir einem gelassenen Universalhistoriker der menschlichen Befindlichkeiten bei der Arbeit zu. Das ist auch in seinem jüngsten Buch der Fall, das zu seinem 70. Geburtstag (übermorgen, Mittwoch) erschienen ist. Es gibt kein Leben ohne Herkunft, und Menschen, die schreiben, halten sich das bewusst. Von Franz Schuh wissen wir, dass er eine Gemeindebau-Vergangenheit sein Eigen nennt, eine prägende Erfahrung. Aber ein denkendes Leben ist angewiesen auf Persönlichkeiten, die ihm Richtung verschafft haben. Das fängt früh an in der Schule.
Mit etwas Glück trifft einer dort auf den einen oder anderen Lehrer, dem die Schüler so wichtig sind, dass er sich ihrer annimmt, Begeisterung schürt und ihnen eine Welt eröffnet. Bewegen in dieser Welt müssen sie sich dann selbst, aber allein der Hinweis, dass es sie überhaupt gibt, ist fantastisch. In einem Essay im neuen Buch „Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks“erinnert sich Franz Schuh mit Dankbarkeit an Dr. Böhm und Dr. Mayer. Sie brachten ihn zu den Büchern – mit unterschiedlichem Zugang. „Dr. Böhm war ein Mann der Expression.“Er brachte die Jugendlichen mit der Dramenliteratur so lebendig in Berührung, dass das große Wort „Aura“im Raum steht, sollen diese „literarisierten Stunden“charakterisiert werden. Der andere, ein Intellektueller, hielt es mehr mit der Vernunft. Als Bibliotheksbesitzer war er eine außerordentliche Figur. „So ein Bibliotheksbesitzer konnte bei sich daheim vom Sofa aufstehen und ein Buch von Musil oder von Kant oder von Kraus oder von Broch aus dem Regal nehmen.“Heute fallen für den früheren Schüler die beiden in einer einzigen Figur zusammen, was verständlich ist. Verstand und Fantasie, die beiden Triebkräfte einer SchriftstellerExistenz, machen den heutigen Franz Schuh aus. Für ihn ist ja nicht das Trennende charakteristisch, sondern wie er Gegensätze in seinem Denken aufhebt. Populärkultur, auch Trash und kräftiger geistiger Stoff, das Heitere und die Schwermut, das Klassische und das Brandneue, das Politische und das Private. Literatur und Philosophie – sie gehen eine Liaison ein, dass daraus immer wieder aufs Neue erstaunliche Kinder eines unruhigen wachen Geistes entstehen.
Das Schwierige leichtfüßig übertänzeln, aus dem Banalen Schlüsse ziehen, die unsere Gegenwart erhellen, das kann Franz Schuh wie keiner sonst im Lande. Denken ist ihm eine Lust, weil es ihn am Schreibtisch sitzend in Regionen bringt, wo noch niemand gewesen ist. Und weil er damit nicht allein bleiben möchte, hält der philosophierende Schriftsteller, der seine Anregungen aus den Büchern, den Zeitungen, dem Fernseher und Begegnungen mit Zeitgenossen bezieht, seine Überlegungen schriftlich fest.
Und wir, die das alles lesen, werden vom Autor eingewickelt von diesem lockeren Tonfall der Eleganz, der uns wissen lässt, dass das Leben sich versüßen lässt, wenn man auf die Souveränität des analytischen Denkens zurückgreift. Er mag Abwege, Umwege, Seitenwege beschreiten, schlüssig ist Schuhs Argumentation immer.
Einer wie Franz Schuh lässt sich nicht vereinnahmen. Er ist seine eigene Instanz, niemandem Rechenschaft schuldig außer seiner fantasiegefütterten Vernunft. Die hat mit Adorno ebenso viel am Hut wie mit Ernst Jandl, Thomas Mann oder Schopenhauer. Aus der Methodenfrische zwischen systematischer Theorie und der Freiheit, sich nicht festlegen zu müssen, bezieht er seine Energie. Daraus entwickelt er Essays, die Literatur sein wollen, und erzählende Prosa, die zum Philosophischen strebt. Erkenntnis kennt viele Wege, Franz Schuh schreitet einige von ihnen aus.
Auch diese Haltung kennt eine Herkunft. In jungen Jahren („genug hatte ich, genug von der Ideologie“) peilte er eine Philosophie als glasklare Wissenschaft an. Durch Zufall kam es auf einer Parkbank zu einem Gespräch mit einem Philosophen, der ihn vor der Eindimensionalität warnte. Schuh sollte wissen, „dass der Mensch in seinem Widerspruch existiert und dass die Philosophie in ihren einander ausschließenden Entwürfen eine Menschenmöglichkeit ist, die man durch keine Strenge schleifen sollte“. Gut erzählt ist diese Bewusstwerdung des Franz Schuh allemal. Buch: