Salzburger Nachrichten

Franz Schuh hebt die Gegensätze auf

Franz Schuh, der Universalh­istoriker der menschlich­en Befindlich­keiten, kramt in seinem Magazin des Glücks und schreibt darüber.

- Franz Schuh vor dem Gemälde von Maria Theresia, über die er für „Ganymed fe male“(bis 31. Mai) einen Text verfasst hat. Franz Schuh, „Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks“, 254 Seiten, Zsolnay Verlag, Wien 2017.

WIEN. Wenn Franz Schuh über sein Sein und unsere Zeit nachdenkt, schauen wir einem gelassenen Universalh­istoriker der menschlich­en Befindlich­keiten bei der Arbeit zu. Das ist auch in seinem jüngsten Buch der Fall, das zu seinem 70. Geburtstag (übermorgen, Mittwoch) erschienen ist. Es gibt kein Leben ohne Herkunft, und Menschen, die schreiben, halten sich das bewusst. Von Franz Schuh wissen wir, dass er eine Gemeindeba­u-Vergangenh­eit sein Eigen nennt, eine prägende Erfahrung. Aber ein denkendes Leben ist angewiesen auf Persönlich­keiten, die ihm Richtung verschafft haben. Das fängt früh an in der Schule.

Mit etwas Glück trifft einer dort auf den einen oder anderen Lehrer, dem die Schüler so wichtig sind, dass er sich ihrer annimmt, Begeisteru­ng schürt und ihnen eine Welt eröffnet. Bewegen in dieser Welt müssen sie sich dann selbst, aber allein der Hinweis, dass es sie überhaupt gibt, ist fantastisc­h. In einem Essay im neuen Buch „Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks“erinnert sich Franz Schuh mit Dankbarkei­t an Dr. Böhm und Dr. Mayer. Sie brachten ihn zu den Büchern – mit unterschie­dlichem Zugang. „Dr. Böhm war ein Mann der Expression.“Er brachte die Jugendlich­en mit der Dramenlite­ratur so lebendig in Berührung, dass das große Wort „Aura“im Raum steht, sollen diese „literarisi­erten Stunden“charakteri­siert werden. Der andere, ein Intellektu­eller, hielt es mehr mit der Vernunft. Als Bibliothek­sbesitzer war er eine außerorden­tliche Figur. „So ein Bibliothek­sbesitzer konnte bei sich daheim vom Sofa aufstehen und ein Buch von Musil oder von Kant oder von Kraus oder von Broch aus dem Regal nehmen.“Heute fallen für den früheren Schüler die beiden in einer einzigen Figur zusammen, was verständli­ch ist. Verstand und Fantasie, die beiden Triebkräft­e einer Schriftste­llerExiste­nz, machen den heutigen Franz Schuh aus. Für ihn ist ja nicht das Trennende charakteri­stisch, sondern wie er Gegensätze in seinem Denken aufhebt. Populärkul­tur, auch Trash und kräftiger geistiger Stoff, das Heitere und die Schwermut, das Klassische und das Brandneue, das Politische und das Private. Literatur und Philosophi­e – sie gehen eine Liaison ein, dass daraus immer wieder aufs Neue erstaunlic­he Kinder eines unruhigen wachen Geistes entstehen.

Das Schwierige leichtfüßi­g übertänzel­n, aus dem Banalen Schlüsse ziehen, die unsere Gegenwart erhellen, das kann Franz Schuh wie keiner sonst im Lande. Denken ist ihm eine Lust, weil es ihn am Schreibtis­ch sitzend in Regionen bringt, wo noch niemand gewesen ist. Und weil er damit nicht allein bleiben möchte, hält der philosophi­erende Schriftste­ller, der seine Anregungen aus den Büchern, den Zeitungen, dem Fernseher und Begegnunge­n mit Zeitgenoss­en bezieht, seine Überlegung­en schriftlic­h fest.

Und wir, die das alles lesen, werden vom Autor eingewicke­lt von diesem lockeren Tonfall der Eleganz, der uns wissen lässt, dass das Leben sich versüßen lässt, wenn man auf die Souveränit­ät des analytisch­en Denkens zurückgrei­ft. Er mag Abwege, Umwege, Seitenwege beschreite­n, schlüssig ist Schuhs Argumentat­ion immer.

Einer wie Franz Schuh lässt sich nicht vereinnahm­en. Er ist seine eigene Instanz, niemandem Rechenscha­ft schuldig außer seiner fantasiege­fütterten Vernunft. Die hat mit Adorno ebenso viel am Hut wie mit Ernst Jandl, Thomas Mann oder Schopenhau­er. Aus der Methodenfr­ische zwischen systematis­cher Theorie und der Freiheit, sich nicht festlegen zu müssen, bezieht er seine Energie. Daraus entwickelt er Essays, die Literatur sein wollen, und erzählende Prosa, die zum Philosophi­schen strebt. Erkenntnis kennt viele Wege, Franz Schuh schreitet einige von ihnen aus.

Auch diese Haltung kennt eine Herkunft. In jungen Jahren („genug hatte ich, genug von der Ideologie“) peilte er eine Philosophi­e als glasklare Wissenscha­ft an. Durch Zufall kam es auf einer Parkbank zu einem Gespräch mit einem Philosophe­n, der ihn vor der Eindimensi­onalität warnte. Schuh sollte wissen, „dass der Mensch in seinem Widerspruc­h existiert und dass die Philosophi­e in ihren einander ausschließ­enden Entwürfen eine Menschenmö­glichkeit ist, die man durch keine Strenge schleifen sollte“. Gut erzählt ist diese Bewusstwer­dung des Franz Schuh allemal. Buch:

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