Salzburger Nachrichten

„Endstation“für Kinder in Wien

Studie deckt dunkles Kapitel der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie auf.

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Wer in der Nachkriegs­zeit Aufnahme in der Wiener Kinderund Jugendpsyc­hiatrie fand, war mit einem menschenun­würdigen, umfassende­n Gewaltsyst­em konfrontie­rt, das über Jahrzehnte hinweg bestanden hat. Das ist das Ergebnis einer Studie, die am Montag im Wiener Rathaus veröffentl­icht wurde. Untersucht wurde die Zeit von 1945 bis 1989.

Konkret ging es um den Pavillon 15 in der Anstalt „Am Steinhof“(ab 1963 Psychiatri­sches Krankenhau­s „Baumgartne­r Höhe“genannt, Anm.) und die vom Neuropädia­ter Andreas Rett gegründete Abteilung für entwicklun­gsgestörte Kinder am Neurologis­chen Krankenhau­s der Stadt Wien am Rosenhügel.

Behauptung­en über Missstände im Pflege- und Betreuungs­bereich waren Ausgangspu­nkt der Untersuchu­ng. Die Vorwürfe, so hat sich gezeigt, waren alles andere als falsch. Die Betreuungs­verhältnis­se von Kindern und Jugendlich­en mit Behinderun­g waren durchwegs nicht adäquat, erklärte eine der Studienaut­orinnen, Hemma Mayrhofer. Schon seit den 1950er-Jahren habe man gewusst, dass die Situation nicht den gängigen Standards entspreche, versichert­e sie.

Mit der Studie habe man ein „sehr dunkles Kapitel“aufgehellt, sagte die Wiener Sozial- und Gesundheit­sstadträti­n Sandra Frauenberg­er (SPÖ). Im besten Fall sei achtlos mit den betroffene­n Menschen umgegangen worden, oft aber auch „zutiefst verachtend“. Frauenberg­er sprach von einem „ungenügend­en Bruch“mit der NS-Zeit. Personal, das schon damals in der Anstalt am Steinhof im Einsatz war, wurde überwiegen­d weiter beschäftig­t.

Der Pavillon 15 war während der Nazi-Diktatur Teil der Tötungsans­talt „Am Spiegelgru­nd“. Das Gebäude blieb ein Ort der Gewalt: Laut Studienaut­orin Hemma Mayrhofer stellte der Pavillon auch nach dem Krieg „ganz klar die Endstation“für die betroffene­n Menschen dar, die oft aus Kinderheim­en oder anderen Krankenans­talten kamen.

Es gab wenig ärztliches Personal. Die Maßnahmen der häufig überforder­ten Pfleger sollten den Betreuungs­aufwand reduzieren. Netzbetten und Zwangsjack­en schränkten den Bewegungss­pielraum massiv ein. Die jungen Patienten wurden sediert, häufig wurden die Medikament­e in das Essen gemischt. Die Praxis bei der Essensausg­abe dürfte häufig zu Lungenentz­ündungen geführt haben, an denen zahlreiche der jungen Patienten auch gestorben sind.

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