Filme aus türkischer Parallelkultur
Nicht alle Filme, die in Österreich ins Kino kommen, stellen sich der Filmkritik. Das betrifft unter anderem viele türkische Filme. Viele sind harmlose Unterhaltung. Derzeit läuft mit „Reis“aber auch ein harter Propagandastreifen.
„Reis“bedeutet so viel wie „Führer“oder „Wissender“. Der Film „Reis“läuft seit Anfang März in einer Handvoll österreichischer Kinos. Er handelt vom Werdegang des türkischen Präsidenten Erdoğan – von seiner harten Kindheit und Jugend und wie er sich als Anführer einer coolen Jugendbande mit edlen Motiven bei den Menschen seiner Umgebung unentbehrlich gemacht hat. Es geht um sein Amt als Bürgermeister von Istanbul und um seine Inhaftierung 1999. Es sei, so steht in der „Süddeutschen Zeitung“zu lesen, eine verklärende Filmbiografie von Recep Tayyip Erdoğan.
Dieser viel diskutierte Film ist einer von etwa dreißig türkischen Filmen, die im Jahr in österreichischen Kinos starten. Teils gibt es deutsche Untertitel, teils nur die Originalfassung. Es sind Filme, die im Kino vergleichsweise gut laufen und für türkischstämmige Österreicherinnen und Österreicher ein Stück alte Heimat zeigen.
Beim aktuellen Erdoğan-Film liegt die Sache anders: Unmittelbar vor der Abstimmung über die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei wirkt dieser Streifen nun als offensichtliche Propaganda. Anlass ist dieser Film auch für die Frage, warum solche Produktionen in österreichischen Medien so gut wie nicht vorkommen.
Dieser blinde Fleck betrifft allerdings nicht nur türkische, sondern auch indische, serbische, montenegrinische und kroatische Filme, die für ein Publikum gezeigt werden, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist. Üblicherweise werden Filme vor dem Start der österreichischen Presse gezeigt, um eine zeitgerechte Rezension zu ermöglichen. Doch bei diesen Filmen verzichte der Filmverleih darauf, sagt dazu Herbert Wilfinger. Er ist Initiator des Österreichischen Filmkritiker-Preises, genannt der „Der Papierene Gustl“, der am Dienstagabend verliehen wurde.
„Von wenigen Ausnahmen abgesehen sucht man vergeblich im ganzen deutschsprachigen Raum kritische Texte über diese Filme, die überwiegend naive Komödien oder nationalistische Historien-Epen sind“, sagt Wilfinger. Seit fünfzehn Jahren bestimmten diese Filme dennoch das heimische Kinoprogramm mit, sie seien „als klassisches Beispiel einer bestehenden, wenn nicht wachsenden kulturellen Parallelgesellschaft zu bezeichnen“.
Der Grund dafür ist aber nicht ausschließlich bei den Verleihern der Filme zu suchen, sondern auch in der Struktur der meisten österreichischen Medien: Film- und Kulturkritikerinnen mit Migrations- hintergrund werden kaum beschäftigt. Der Blick ist vor allem auf amerikanisches, deutschsprachiges, vielleicht noch französisches Kino fokussiert. Es ist ein Problem von gegenseitigem Desinteresse. Dies verdeutlicht, wie sehr Diversität unter Kritikerinnen und Journalistinnen sinnvoll und notwendig wäre und wie wenig die Redaktionen hiesiger Tageszeitungen die Vielfalt der österreichischen Gesellschaft spiegeln.
Das betrifft auch jene Filmbeobachter, die beim „Papierenen Gustl“mitgestimmt haben. 86 heimische Filmjournalisten von 56 Medien sind in der Jury. Migrantisches Kino, insgesamt etwa sechzig Filme von 487 Filmen, die 2016 in Österreich ins Kino kamen, findet sich bei den Preisen nicht wieder. Allerdings hat heuer eine andere, im Kino sonst sträflich unterrepräsentierte Gruppe in allen Kategorien gewonnen: Bei den Siegerfilmen waren durchwegs Regisseurinnen am Werk, beim Besten Spielfilm „Toni Erdmann“von Maren Ade (vor dem Science-Fiction-Drama „Arrival“und Yorgos Lanthimos futuristisch-surrealem Beziehungsdrama „Lobster“), beim Besten Österreichischen Film „Vor der Morgenröte“von Maria Schrader (gefolgt von Ruth Beckermanns Liebesfilm „Die Geträumten“und der Doku „Dreams Rewired“) und in der Kategorie Beste Dokumentation: Da gewann „Dreams Rewired“von Manu Luksch, Martin Reinhardt und Thomas Tode (vor Maya McKechneays Stadtporträtfilm „Sühnhaus“und dem anrührenden „Mister Universo“von Tizza Covi und Rainer Frimmel).
Ebenfalls am Dienstag wurde der unter Kritikern beliebteste österreichische Film der letzten zehn Jahre bekannt gegeben: Es handelt sich um Michael Hanekes „Das weiße Band“(2009), gefolgt von Götz Spielmanns „Revanche“(2008) und Andreas Prochaskas „Das finstere Tal“(2014).
Regisseurinnen räumten Filmkritik-Preise ab