Salzburger Nachrichten

Schule lehrt nur Einheitlic­hkeit

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Bezugnehme­nd auf den SN-Artikel „Die Lust auf Deutsch wecken“(SN, 2. 3.) möchte ich als Schülerin einer Maturaklas­se meine Gedanken loswerden.

Textanalys­e, Erörterung, Empfehlung; Tausende Anleitunge­n, wie man welche Textsorte zu schreiben hat. Jeder Text wird in einzelne Sätze, Wörter und Stilmittel zerrissen: Die Schönheit stirbt, zurück bleiben leere Wortfetzen, die von Schülern in zahlreiche­n Analysen peinlich genau und bedeutungs­schwanger interpreti­ert werden. Es wirkt beinahe stupid, wird einem eine Ikea-Bauanleitu­ng vorgelegt, um den Aufbau einer Empfehlung zu lernen. Ich fühle mich wie kurz vor der Zwangseinw­eisung, wenn ich für die Meinungsre­de eine vorgegeben­e Wortanzahl zugewiesen bekomme, als dürfe meine Meinung nur 400 Wörter inkludiere­n, ansonsten gibt es Punkteabzu­g. Am liebsten habe ich es, wenn ich die maximale Wortanzahl überschrit­ten habe und am Seitenrand der Arbeit in krakeliger Lehrerschr­ift „näher ausführen“lese. Wie? In der Schule wird gelehrt, zu allem eine Meinung zu haben, jedoch wird die Meinung, die wir zu vertreten haben, gleich dazugelehr­t. Denn wer braucht schon eine individuel­le Ansicht in einer standardis­ierten Schule, in einer standardis­ierten Welt unter standardis­ierten Menschen? In der ersten Unterricht­sstunde lernen wir in Biologie von Genkrankhe­iten, in der zweiten Stunde vom Zweiten Weltkrieg, in der dritten von Globalisie­rung, in der vierten von Literaten, die für ihre Werke ihr Leben gaben. Wir sollen kritisch reflektier­en, dürfen paradoxerw­eise weder traurig noch gleichgült­ig sein. Spürbar ist, dass die Meinung, die von uns erwartet wird, der des Lehrers gleichen soll. So gleicht jede Meinungsre­de der anderen, jede Textanalys­e der anderen und ich habe keine meiner Schularbei­ten ein zweites Mal durchgeles­en, da mich die von mir erwartete Redundanz schon anwidert. Jetzt steht es fest: Kreativitä­t und Individual­ität werden mit der Zentralmat­ura auch aus dem Deutschunt­erricht verbannt. Wer weiß, womöglich lernen die Schüler in hundert Jahren vom größten künstleris­chen und individuel­len Bildungsma­ssaker: Zentralmat­ura. Ich habe mich immer für Literatur, Grammatik und Philologie begeistern können, aber auch die nächste Hausaufgab­e eines Leserbrief­s werde ich nicht abgeben. Initiative­n wie die „Poetry Challenge Salzburg“weisen einen Weg in die richtige Richtung. Danke im Namen der Kreativitä­t. Carolina Mairinger 5020 Salzburg

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