Erdo˘gan gefährdet Wirtschaft
Der Konflikt mit den EU-Staaten lässt die türkische Wirtschaft weiter abstürzen. Der massive Rückgang im Tourismus ist nur ein Beispiel dafür.
Mit immer neuen Provokationen fordert Staatschef Recep Tayyip Erdoğan die europäischen Partner heraus. Die politischen Verwerfungen gefährden auch die Wirtschaft, denn die EU ist der wichtigste Handelspartner und der größte ausländische Investor für die Türkei. Die Wirtschaft war früher Erdoğans Trumpfkarte. In seinen elf Jahren als Premier verdreifachte sich das Pro-Kopf-Einkommen. Von dem Präsidialsystem, über das die Wähler am 16. April in einem Referendum abstimmen sollen, verspricht sich Erdoğan politische Stabilität und Wohlstand. Bis 2023, wenn sich die Gründung der Republik zum 100. Mal jährt, will er die Türkei unter die zehn weltgrößten Wirtschaftsnationen führen.
Dass Erdoğan dieses Ziel erreicht, wird aber immer unwahrscheinlicher. Lag die Türkei beim Wirtschaftswachstum noch 2010 mit China an der Weltspitze, schwächelt die Konjunktur bereits seit einigen Jahren. Die Hauptgründe: immer wieder aufgeschobene Strukturreformen, ein schwaches Bildungs- und Ausbildungssystem, mangelnde Innovationskraft der Industrie, eine zu geringe Wertschöpfung und massive Kapitalabflüsse. Das Pro-Kopf-Einkommen, das 2015 bei 12.400 Dollar lag, wird in diesem Jahr wohl auf 9100 Dollar fallen. Im dritten Quartal 2016 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,8%. Die Inflation stieg im Februar erstmals seit fünf Jahren wieder über die Zehnprozentmarke, die Arbeitslosenquote erreichte im Jänner mit 12,7% den höchsten Stand seit sieben Jahren.
Zu den Strukturschwächen kommen jetzt politische Turbulenzen: Die militärische Verstrickung der Türkei in den Syrien-Konflikt, die Bedrohung durch den Terror, die „Säuberungen“seit dem Putschversuch vom Juli 2016, die innenpolitische Polarisierung vor dem Verfassungsreferendum und der sich täglich verschärfende Streit mit den europäischen Partnern verunsichern Investoren und Anleger. Bereits im vorigen Jahr gingen die ausländischen Investitionen um ein Drittel zurück – alarmierend für ein Land, das in hohem Maß auf ausländisches Kapital angewiesen ist.
Mehr als die Hälfte der türkischen Exporte gehen in die EU. Deutschland ist der größte Handelspartner der Türkei, der wichtigste Absatzmarkt für türkische Exporte und knapp hinter China der bedeutendste Lieferant. Mit 6700 Firmen im Land gehören die Deutschen zu den wichtigsten Investoren. Die Niederlande sind auch ein wichtiger Markt für die Türkei, bei Exporten und Tourismus. Niederländer stellten 2016 die fünftgrößte ausländische Urlaubergruppe.