Viele Chinesen treten wieder in die Pedale
Lang wollte in China, der einstigen Fahrradnation, keiner in die Pedale treten, Autos wurden vorgezogen. Jetzt ist das Rad im Reich der Mitte zurück.
Das Fahrrad war gut versteckt: Wang Hao zieht es hinter einem Busch an der Rückwand des Bürogebäudes hervor, in dem er arbeitet. „Ich habe das Rad heute Morgen hier abgestellt, um es jetzt wieder benutzen zu können“, sagt der Pekinger Angestellte. Wang ist begeisterter Kunde der Bike-Sharing-App „Mobike“. „Eigentlich sollte man die Räder nicht verstecken, aber ich wollte mir sicher sein, auch für die Rückfahrt direkt hier ein Fahrrad zu haben.“An der nächsten Straßenecke stehen zwar zwei Dutzend Mieträder – doch die sind so barbarisch hingeworfen und ineinander verkeilt, dass es „da ganz schwer wird, eins rauszuziehen“, sagt der 25-Jährige. Chinas Großstädte sind seit Wochen mit Leihfahrrädern überschwemmt. Der Gegensatz zwischen der umweltfreundlichen Idee des Bike-Sharing und der mülligen Realität stört zunehmend die Behörden. Die Ordnungsämter sammeln regelmäßig Hunderte von Rädern ein, die auf Grünflächen, Radwegen oder Gehsteigen große Klumpen aus bunt lackiertem Metall bilden. „Wir gehen jetzt konsequent gegen illegal abgestellte Räder vor“, sagt Zhou Lan von der Stadtverwaltung in Schanghai. Das Überangebot an Rädern liegt am Ehrgeiz der Betreiber von Leihfahrrad-Apps. Sie machen sich heftig Konkurrenz – und ihre Kassen sind mit Hunderten Millionen von Euro gefüllt. In Peking sind vier Anbieter fast gleichzeitig auf den Markt vorgestoßen. Jeder von ihnen hat mehrere Hunderttausend der farbig la- ckierten Räder in der Stadt verteilt. Und keiner will einen Reifen breit nachgeben. So lautet die Devise. „Denn der Gewinner des Kampfs um die Marktanteile kontrolliert am Ende das Geschäft“, sagt Unternehmensberater Thibaud Andre von Daxue Consulting in Peking. „Die eigentliche Show aber findet nicht auf dem Fahrrad statt, sondern auf dem Smartphone“, sagt Andre. Im Digitalgeschäft seien Kundendaten die Goldwährung. „Die vielen Millionen User der Bike-Apps geben viel preis.“Sie verraten bei der Anmeldung ihre Personalausweisnummer und ihre Kontoverbindung. Das System kennt Geschlecht und Alter. Viel wichtiger noch: Eine Fahrrad-App „weiß, wo du wann hinfährst, und wie oft“. Die Kundengruppe sei ebenfalls hochinteressant: aktive, junge Stadtbewohner.
Deshalb geben die Firmen im Rennen um die Biker geben alles: In Schanghaier Stadtteil Huangpu hat das Ordnungsamt gerade in einer einzigen Aktion 4000 Räder eingesammelt. Der Stadtverwaltung zufolge gibt es in Huangpu 1500 Fahrradabstellplätze, aber 20.000 Mieträder.