Soziale Medien müssen die eigene Rolle hinterfragen
Die Debatte um Hasskommentare und deren Löschung entzündet sich wieder. Warum? Laut einer aktuellen Studie entfernt Twitter nur ein Prozent der gemeldeten strafbaren Inhalte, Facebook 39.
Dem nicht genug: Wie kurios die Löschpraktiken sind, zeigt die Posse um das jüngst veröffentlichte „Reisetagebuch“dreier österreichischer Autorinnen. Ein Kleinformat empörte sich über die beißende Satire und bezeichnete sie als „Steuergeld-Kifferurlaub“. Hunderte wütende Kommentare waren die Folge – auch solche, in denen es darum ging, die Autorinnen an die Wand zu stellen, ins Arbeitslager zu sperren, zu vergewaltigen.
Und die Konsequenz? Facebook ging nicht gegen die hasserfüllten Kommentatoren vor, sondern sperrte den Account einer Autorin. Offenbar war sie bei Facebook gezielt vernadert worden. Die Sperre hat man zwar mit viel Bedauern später wieder aufgehoben, sie zeigt aber, wie hirnlos und angreifbar die Löschpraktiken sind. Denn sie dürfte der gleichen Schwarmintelligenz gehorchen wie das Netzwerk selbst: Wo viele Beschwerden sind, da muss auch etwas faul sein. Wo kein Widerstand ist, da ist auch kein Handlungsbedarf. Konkret: Wenn sich jemand gegen Mobbing oder Drohungen nicht mehr wehren kann, ist das Schicksal. Aber wenn viele auf einen oder eine Gruppe losgehen, wird wohl er oder sie das Problem sein.
Solange soziale Medien weiter gezielt ausblenden, dass es längst Usus ist, ihre Plattformen zu manipulieren, sie als Propaganda-Instrument zu nutzen und damit gezielt zu kampagnisieren, wird man bei den Löschpraktiken nie einen gangbaren Weg finden. Derzeit wird diese Debatte durch die über Urheber und Nutznießer von Fake-News überdeckt. Es ist aber längst auch an der Zeit, dass Facebook und Twitter selbst hinterfragen, ob es ihrem Geschäft langfristig dient, jedem Rülpser Bedeutung und Verbreitung zuzubilligen, die er nicht verdient hat.